Der Colos-Saal, sein Sommerprogramm und das Fake-Interview

Hallo Real Music Lovers, In den vergangenen 40 Jahren durfte ich als Konzertveranstalter schon viele Interviews geben.

Ich habe mir redlich Mühe gegeben, immer neue Antworten sogar auf fade Fragen zu geben, die in Interviews mit Konzertveranstaltern zum offensichtlich unerlässlichen Repertoire gehören. „Was war die berühmteste Band, die jemals bei euch gespielt hat?“. „Was war dein absolutes Konzert-Highlight im Colos-Saal?“ Sollte ich jemals auf eine dieser Fragen eine absolut eindeutige Antwort geben, so wäre dies eine persönliche wie berufliche Bankrotterklärung.

Erfreulich fand ich immer, wenn die Fragen in die Tiefen der Musik und des Musikgeschäfts eintauchten. Denn darum rankt sich ja mein komplettes Berufsleben.
Und da mir ständig Antworten auf ungestellte Fragen durch den Kopf gehen, habe ich mir den Luxus erlaubt, gedanklich Mike H., einen jungen Redakteur der SWMZ (Sehr Wichtige Musikzeitschrift) einzuladen, damit ich mal einige Antworten loswerden kann. Los geht’s!

Mike H. (SWMZ):
In über 4 Jahrzehnten haben Sie Tausende von Konzerten in und um Aschaffenburg organisiert, Herr Berninger. Können Sie …

Claus B. (unterbricht und grinst):
Stop! In der Kultur gibt es kein „Sie“. Im Rock`n`Roll und im Jazz schon gar nicht. Ich mag solche Förmlichkeiten nicht, werde lieber geduzt und duze unaufgefordert zurück. Unser Publikum duzen wir seit über 40 Jahren und erachten das sogar als eine wichtige Stilfrage. Es entspricht dem Guten Ton in der Live-Musik-Branche. Ikea hat das übrigens von uns abgekupfert, wenn ich mich richtig erinnere (lächelt erneut).

Mike H. (SWMZ):
Okay Claus, dann fange ich nochmal neu an. Du hast Tausende von Konzerten veranstaltet. Fällt Dir eigentlich noch was Neues ein, womit Du Eure Besucher überraschen kannst? Im Programm sehe ich viele Bands und Künstler, die schon oft bei Euch waren. Wird der Colos-Saal bequem und setzt nur noch auf sichere Acts?

Claus B.:
Dann schau nochmal genau hin! Ich habe gerade nachgezählt: alleine von Anfang April bis Ende August dieses Jahres werden wir - die Support-Acts mitzählt - rund 50 Acts präsentieren, die noch nie in Aschaffenburg gespielt haben. Wahrscheinlich werden es noch mehr, denn unser Sommerprogramm hat noch einige Optionen in petto, die wir noch nicht veröffentlichen können. Im Schnitt somit 10 neue Acts pro Monat. Da können sich unsere Besucher eigentlich nicht beschweren. Uns fällt offensichtlich doch viel Neues ein.

Ja, sichere Acts gibt es auch, Künstler, die wir immer wieder engagieren, weil sie ihre eigene, zeitlose Qualität haben und die Nachfrage sehr hoch ist. Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, das nicht zu machen, denn andererseits gibt es auch viele neue Themen im Programm, die wir erst aufbauen müssen und die sich anfangs finanziell nicht tragen.

Mike H. (SWMZ):
Ist man denn in einem Alter, in dem – ich sag es mal vorsichtig – andere bereits in der Rente sind, tatsächlich noch auf dem Laufenden, was Pop- und Rockmusik betrifft?

Claus B. (droht mit dem Zeigefinger):
Uffbasse! Wenn Du wüsstest …! Tatsächlich bin ich nach wie vor ein Suchender, was interessante, neue Künstler angeht. Ich bin nicht nostalgisch und schwärme nicht melancholisch von der Musik aus meinen jungen Jahren. Ich lasse alte Platten und CDs meist im Schrank und kauf mir ständig neue Musik. Das Problem ist allerdings, dass ich mich dabei immer wieder in neue Nischen begebe und Bands finde, die kein Schwein hierzulande kennt.
Dazu kommt, dass ich umso anspruchsvoller werde, je mehr ich höre und auf der Bühne sehe. Anspruchsvolles Booking mit hohen künstlerischen Qualitätsmaßstäben heißt aber letztendlich, dass das Publikum anfangs klein ist und die Kasse somit leer. Gefahrlich auf Dauer!

Mike H. (SWMZ):
So leer kann die Kasse nicht sein. Der Colos-Saal ist ja im 41 Jahr seines Bestehens immer noch sehr lebendig. Ist das nicht ein Widerspruch?

Claus B.:
Nein. Des Rätsels Lösung: ich buche ja kaum mehr (lacht). Bis ins Jahr 2000 war 16 Jahre lang tatsächlich das komplette Programm ausschließlich von mir kuratiert. Aber mein Bruder Günther und ich haben im Jahr 2000 eine sehr gute Entscheidung getroffen und den damals 27-jährigen Matthias Garbe eingestellt, der über die Jahre zu unserem Chefbooker Nummer 1 geworden ist und heute geschätzte 85 bis 90% unseres Programms völlig selbstständig verantwortet. Mit Dave, Max und mir, gelegentlich auch Flo gibt es somit sogar 5 Booker bei uns, die das Programm beeinflussen.

Wenn in der Öffentlichkeit in Verbindung mit dem Programm des Colos-Saal immer der Claus B. genannt wird, ist das eigentlich sehr unfair unserem Matthias gegenüber. Er ist es, der bei uns den Spagat zwischen musikalischer Qualität und Publikumsreichweite schafft, von dem die ganze Firma lebt. Die Booking-Ideen der anderen Vier mit ihren unterschiedlichen Vorlieben sorgen zudem für große Vielfalt und viele unterschiedliche Alters- und Zielgruppen, die wir mit unserem Programm erreichen.

Unsere größeren Sommerkonzerte, die wir in den letzten beiden Augustwochen Open Air und in enger Kooperation mit dem Aschaffenburger Kulturamt auf dem Campus der Hochschule Aschaffenburg veranstalten, sind alle ausschließlich von Matthias gebucht worden. Ich finde, er macht das Klasse und spricht mit seiner Programmauswahl für die Campus-Konzerte viele verschiedene Besuchergruppen an.

LaFee ist für die Rock & Popfans, Gregor Meyle bedient die Singer/Songwriter-Fraktion. Die Mighty Oaks sind sehr gefragt in der zeitgemäßen Folk-Szene und Heavysaurus wird das große Familienevent für junge Heavy-Metal-Eltern und ihre Kids. Zeitlosen Rock und Rockabilly gibt es dann beim Tagesfestival „B-Day-Bash“ mit Boppin B. und ihren Stargästen von den Rodgau Monotones sowie weiteren Supports aus der Szene. Wir haben - ganz neu - sogar noch für ein sechstes Konzert auf dem Campus erhalten, bei dem es mit Wolfmother aus Australien auf einen Trip durch Stoner, Classic- und Psychedelic-Rock geht. Der Vorverkauf für Wolfmother beginnt allerdings erst am kommenden Montag. Dann findet Ihr das Konzert auch auf colos-saal.de.

Matthias Garbe war übrigens auch der maßgebliche Wortführer innerhalb unseres Teams, das mich gemeinsam überredet hat, wieder einige Open Air Konzerte zu versuchen. Ich habe da in der Vergangenheit bislang sehr vorsichtig agiert, denn Open Airs sind immer ein finanzielles Risiko, das im schlechtesten Fall unser Jahresergebnis völlig verhageln kann.

Mike H. (SWMZ):
Ja wie jetzt? Genießt Du nun Dein Rentnerdasein und schaust nur noch zu, wie Deine Angestellten arbeiten?

Claus B. (lacht):
Schön wäre es. Aber im Ernst: Dieser Tage ist viel von Entbürokratisierung und Entlastung der Firmen in steuerlicher Hinsicht die Rede.Das ist aus meiner Sicht dringend notwendig und die neue Regierung wird daran zu messen sein, ob es ihr tatsächlich gelingen wird, die alles verschlingende Bürokratie wieder maßgeblich zurückzufahren. Ich habe ja nun einen dieser vielen kleinen mittelständigen Betriebe im Land, die über die Jahre immer mehr teils völlig sinnlose Vorschriften, Auflagen, Kosten und Dokumentationspflichten bewältigen müssen, welche sich Politik und die Behörden haben einfallen lassen. Das verschlingt mittlerweile auch in unserer Firma so viel Arbeitszeit der Geschäftsführung, dass für wichtige Dinge einfach keine Zeit mehr bleibt.

Die kreative Seite meiner Arbeit, eben das Buchen interessanter Acts, beeinträchtigt das mittlerweile mehr, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Was bin ich froh, dass sich mein Sohn Max in den letzten Jahren sehr gut in die Administration der Firma eingearbeitet hat und mich bei diesen Sinnlosigkeiten maßgeblich unterstützt. Ansonsten wäre ich vielleicht schon durchgedreht.

Hinzu kommt, dass sich die Kostensituation in unserer Branche nach der Pandemie deutlich verschärft hat, was sich selbstverständlich auf die Eintrittspreise niederschlägt, die immer weiter nach oben gehen, ob wir das so wollen oder nicht. Noch scheint das unsere Real Music Lover nicht wirklich abzuschrecken. Aber mir ist völlig klar, dass sich nicht Jede/r unsere Konzerte leisten kann. Ich hoffe auf die Rückkehr der Vernunft in unserer Konzertbranche, gemeinsam die Ticketpreise günstig zu halten. Kultur sollte man nicht nur für reiche Menschen machen. Aber noch bin ich da einer der einsamen Rufer in der deutschen Konzertbranche.

Aber um ehrlich zu sein: Ja, ein Stück weit konnte ich mich dank Max und unserem sehr selbstständig arbeitenden Team schon zurückziehen, bin auch nicht mehr täglich in Aschaffenburg, sondern kann viel aus dem Homeoffice heraus erledigen. Außerdem muss ich fast keine Abenddienste mehr machen, die bei mir jahrelang immer eine zweite Schicht waren, da ich ja trotzdem die Planungsarbeit tagsüber erledigt hatte.

Mike H. (SWMZ):
Claus, kann es sein, dass Du gerade auf hohem Niveau jammerst? Dem Colos-Saal geht es doch gut. Viele Konzerte sind ausverkauft, viele gut besucht.

Claus B.:
Ja Gottseidank! Sonst würde das gar nicht funktionieren. Keine Ahnung, ob sich unsere Besucher Gedanken machen, was sie mit ihrem Geld, das sie bei uns lassen, so alles mitfinanzieren. Jeder wird wissen, dass wir damit Gagen und Produktionskosten der Künstler zahlen (der größte Posten in unserer Jahresbilanz), die Löhne unserer Mitarbeiter (der zweitgrößte Posten) und unsere Wareneinkäufe (Konzerttechnik und Getränkeeinkauf). Dann sind da noch die Gebühren und Abgaben, die jede Firma zahlen muss, also Umsatzsteuer, Lohnsteuer, Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer, Sozialversicherungsbeiträge, Pacht und Nebenkosten, Sondernutzungsgebühren an die Kommune, Beiträge an die Berufsgenossenschaft und die IHK, viele Versicherungsgebühren und die Rechnungen des Steuerberaters. Soweit alles normal.

Aber darüberhinaus gibt es noch die Sonderkosten für unsere Branche, zum Beispiel fünfstellige Zahlungen jeden Monat an die Künstlersozialkasse, hohe fünstellige Zahlen an die immer teurer werdende GEMA (die für mich ein unkontrollierter Staat im Staate ist, deren Praxis der wunderbaren Geldvermehrung für wenige priviligierte Künstler dringend mal einer politischen Überprüfung unterzogen werden müsste). Dann ist da noch die sogenannte Ausländersteuer, die wir für die Einkommen nichtdeutscher Künstler an das Finanzamt zu zahlen haben.

Dass wir darüber hinaus einer der besten Großkunden der Aschaffenburger Hotellerie sind und wahrscheinlich bei unserer Brauerei gleich mehrere ihrer Mitarbeiter finanzieren, muss man auch mit einrechnen. Die Kosten für Security-Personal, sind heutzutage erheblich und müssen in unserer Branche ebenso zusätzlich erwirtschaftet werden.

Außerdem schweben aktuell diverse Damoklesschwerter über der Konzertbranche, die mit vielen Dienstleistern arbeitet und auf flexible Aushilfen angewiesen ist. Ziemlich unbeachtet von der Öffentlichkeit gibt es Bestrebungen, die Kriterien für soloselbstständige Dienstleister hinsichtlich vermuteter Scheinselbstständigkeit massiv zu verschärfen und die Arbeitseinsätze von Minijobbern rund um den juristischen Terminus der „Arbeit auf Abruf“ ebenso massiv zu erschweren, sofern die neue Regierung den Unfug nicht stoppt.

Mike H. (SWMZ):
Stellenweise malst Du ja ein düsteres Bild, wenn ich mir das so anhöre. Dann mal ran an die Prognose: Wie wird den die Zukunft der Live-Branche aus Deiner Sicht?

Claus B.(nachdenklich):
Das ist eine schwere Frage. Vier Jahrzehnte konnten wir mit unserer Firma und dem Colos-Saal immer irgendwie mithalten und uns den finanziellen Herausforderungen stellen, indem wir uns als Firma ständig fortentwickelt haben. Selbst die zweieinhalb Jahre Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen haben wir irgendwie überstehen können.Insofern sollte ich Optimist sein.

Aber was jetzt auf uns zukommt, ist jenseits all meiner Erfahrungswerte und absolut unkalkulierbar. Wir arbeiten international, aber die Internationalität wird zunehmend schwieriger. Es gibt viel zu viele Kriege und Krisen. Wenn jetzt auch noch ein völlig durchgedrehter US-Präsident mit seiner „Oligarchie der Milliardäre“ (Bernie Sanders) einen wahnsinnigen Handelskrieg anzettelt, bei dem alle nur verlieren können, kann derzeit wohl Keiner eine Prognose geben, was das Ganze mit der Live-Szene machen wird.

Außerdem wissen wir ja aus der Geschichte: Sobald Rechtsradikale und Faschisten an die Macht kommen, wetzen sie aus ideologischen Gründen die Messer, um gegen Kultur und Künstler vorzugehen, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen. Auch das passiert gerade im Kernland der Rock-, Jazz und Popmusik und möglicherweise auch irgendwann hierzulande, wenn wir nicht alle aufpassen.

Mike H. (SWMZ):
Meine letzte Frage ist: Was bedeutet das alles für Deine persönliche Zukunft?

Claus B.:
Wenn ich ehrlich bin, ist ein beschauliches Rentnerleben nichts für mich. Ich bleibe noch ein wenig an Bord, teile mir die Kapitänskajüte mit meinem Sohn, übergebe ihm immer öfter das Ruder und bleibe ihm und unserem wunderbaren Team noch eine Weile als Backbone und Unterstützung bei schweren Stürmen erhalten, gerade in solch volatilen Zeiten. Schon allein, um gelegentlich doch wieder selbst etwas buchen zu dürfen, was mich umgehauen hat und was hier wieder fast Niemand kennt, um dann selbst im Publikum das Konzert genießen zu können (grinst). Habe ich eigentlich schon von 5/8erl in Ehr`n erzählt, deren Konzert im Stadttheater ich wärmstens empfehle …
Ende des Interviews.

Wir sehen uns bei unseren Konzerten im Colos-Saal und im Stadttheater, oder auch im August beim Campus Open Air.

Quelle: Colos-Saal