JETHRO TULL - The Zealot Gene
VÖ: 28.01.2022
(Inside Out)
Genre: Folk Prog
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JETHRO TULL
Martin Barre ist zwar nicht mehr an Bord, dennoch beschloss Mastermind Ian Anderson wieder eine Scheibe unter dem Logo von JETHRO TULL heraus zu bringen. Das hätte er schon vor acht Jahren mit seinem Soloalbum Homo Erraticus tun sollen, wie er heute rückblickend bemerkt. Die vielen Touren und das beschäftigen mit dem alten Material führten aber nun endlich zu dem logischen Schluss, da der gebürtige Schotte stets das Material komponierte.
Auf dem neuen Werk dreht sich viel um die Zeloten, antike Widerstandskämpfer, welche Anderson in die heutige Zeit transportiert, wo sich in der aktuellen Weltlage viele Bezugspunkte finden. Dabei wirft er mit Bibelzitaten um sich und arbeitet religiöse Komponenten heraus, welche in allen Zeiten galten. Damit erinnert er von der Herangehensweise stark an sein bekanntestes Werk „Aqualung“.
Wollte man den Mann verunglimpfen, könnte man behaupten, JETHRO TULL wählen die Taktik von MARDUK, die im Prinzip nur zwei Songs haben, diese nur variieren. Auch wenn Prog Rocker und akustische Folkstücke den Großteil des Longplayers bestimmen, wäre das zu knapp bemessen. Bereits der Opener „Mr. Tibbets“ weiß mit seiner Vielschichtigkeit zu gefallen. Simple und effektive Akkorde steigen aus den druckvollen Synthieteppichen hervor, die Melodien schön lauernd, Orgel und Flöte setzen Akzente und dezente Orchestrierungen sind auch zu vernehmen.
Rockig geht es auch im Titelsong zu, der viel Schwere atmet, wenn nicht gerade der gute Ian mit seinem Blasinstrument darüber tänzelt. Leadfills und Synthstreicher treiben weiter voran bis zum beschwingten Refrain. Drücken tut auch der Chorus von „Barren Beth, Wild Desert John“, während der Rest sehr mittelalterlich geprägt ist, aber das ist keine Seltenheit bei der Band. Ungewöhnlich ist da eher der spannende Aufbau von „Mine Is The Mountain“, Pianokaskaden perlen repetiv durch den Raum, die Band agiert leise aber konzentriert. Anderson intoniert sehr theatralisch und nutzt auch mal das Falsett.
Das Piano von John O´Hara ist auch bei „The Betrayal Of Joshua Kind“ präsent, wenn es sich mit der Flöte duelliert und ein paar jazzige Wendungen einbringt. In der Folge ähnelt das Stück daher und ob des sanften Gesangs dem typischen Canterbury-Sound und Florian Ophale darf noch einmal zum Solo ansetzen. Leider wird ab dem Song die Flöte zu präsent, jeder Titel wird mit dem Instrument eingeleitet und die Abwechslung lässt nach.
Da muss man auch mal über den Einsatz einer Sitar wie im Falle von „Brief Visitation“ froh sein, die etwas Lockerung in die folkigen akustischen Weisen bringt. Nur „Sad City Sisters“ kommt da etwas beschwingter um die Ecke, steht aber auch früher auf der Scheibe, wie auch „Jacob´s Tales“. Da tauscht der Bandboss kurzerhand Querflöte mit Mundharmonika und findet sich in den nordamerikanischen Wäldern wieder.
Am Ende wird es mit „The Fisherman Of Ephesus“ noch einmal spannend. Vor allem weil sich im Refrain breite Riffs aufbauen, aber auch wegen der Erzählweise. Das belegt wie durchdacht die Scheibe konzipiert und gekonnt eingespielt wurde, wobei hier und da zu viel Routine walten gelassen wird. Doch zusammen mit der guten, sauberen und differenzierten Produktion macht das „The Zealot Gene“ zu dem Album, auf das die Fans lange gewartet haben. Zumal dem herrlich kauzigen Ian Anderson der Schalk wieder im Nacken sitzt.
7 / 10