PORCUPINE TREE - Closure/Continuation Live

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VÖ: 08.12.2023
(Columbia)

Genre: New Art Rock

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PORCUPINE TREE

Vor etwa zwei Jahren ging ein Raunen durch die Progwelt als die New Art Rock-Überväter verkündeten ihre Geschäfte nach mehr als einer Dekade wieder aufnehmen zu wollen. Der eindeutig zweideutig betitelte Longplayer „Closure/Continuation“ wurde demnach freudig aufgenommen und schaffte es in Proghochburgen wie Deutschland an die Spitze der nationalen Charts. Die Tour im Herbst war überall ausverkauft, ebenso die Open Air-Nachschläge in dem Sommer. Aktuell konzentriert sich Mastermind Steven Wilson wieder auf seine Solokarriere, wie es weiter geht weiß niemand so genau. Dafür gibt es jetzt einen Mitschnitt vom letzten Herbstkonzert in Amsterdam, der unter dem Titel „Closure/Continuation live“ veröffentlicht wurde.

Wilson zeigt sich gleich bei seiner ersten Ansage erstaunt darüber, wie der Erfolg seiner Formation gewachsen ist, in einer Zeit, in der er leidglich solo unterwegs war. In der Tat spielten PORCUPINE TREE wesentlich größere Hallen, wie hier den Ziggo Dome in Amsterdam am 7. November 2022, der fünfstellig fasst. Für Fans ebenso interessant, die den Weg von Clubs wie dem Longhorn über das Carl-Benz-Center bis hin zur Porsche-Arena ein paar Tage vor dem hier aufgenommenen Gig mitgegangen sind.
In der Tat ist das kein Mainstream hier, sondern durch jahrlange Qualität erarbeiteter Erfolg, mit Musik, welche die Menschen einfach berührt. So sieht man schon beim Einlauf der Musiker freudig beseelte Gesichter in der ersten Reihe, überhaupt wurden die Anhänger gut eingefangen. So entdeckt man Headbanger ebenso wie verträumt schwelgende Zuschauer, andere singen mit oder imitieren die Instrumentalisten. Was auffällt ist bei allen diese Hingabe, mit der sie in der Show drin sind, am Ende kommen einem einige fast familiär vor.

Weniger familiär erscheinen die beiden Mitmusiker, welche das Kerntrio unterstützen, Colin Edwin und der frühere Tourmusiker John Wesley sind nicht mehr dabei. Nate Navarro gibt sich am Bass ebenso stoisch wie sein Vorgänger, wenn auch mit fordernder Körperhaltung. Seine Linien schlängeln sich um die Melodien und Klanglandschaften, die seine Kollegen hervor zaubern. Er vermag sie ebenso warum unterfüttern wie auch selbst Akzente zu setzen.
Randy McStine sieht mit Locken und dünnem Bart Wesley derart ähnlich, dass ich beim Konzert in Stuttgart dreimal hinschauen musste. Sein Input ist nicht zu unterschätzen, gibt ihm der Mastermind doch sehr viele Freiheiten, so darf er nicht nur die Backingchöre beisteuern, sondern auch einige Leadgesänge beisteuern. An seinem Instrument darf sich der Gitarrist noch mehr austoben, verbucht den Großteil der Soli für sich und gibt oft den Rhythmus vor, damit sich Wilson auf seine Frontmannrolle konzentrieren kann.

In die ist er im Laufe seiner Solokarriere immer mehr hinein gewachsen und scheut nicht mehr den Gang ganz nach vorne an die Rampe. Oft schlendert er umher, sucht den Kontakt zu seinen Mitstreitern, am Mikro baumelt seine Gitarre öfter hinter ihm. So hat er die Hände frei für viele Posen, welche die Emotionen unterstreichen oder auch seine typische Fingerhaltung, wenn er das Mikro umschließt. Deutlich kommunikativer als früher sieht er die Dinge die ihn seinerzeit zu den Songs bewegt haben wahlweise entspannter oder zynischer. Auch einen gewissen Humor hat sich der Mann aus Hemel Hempstead zugelegt, der beim Publikum gut ankommt.

Von seiner alten Riege sind noch Richard Barbieri und Gavin Harrison dabei, ersterem kommt der gestiegene elektronische Anteil in den neuen Songs gelegen. Fast ohne Minenspiel bedient er ein Arsenal an Synthesizern, oft mehrere gleichzeitig, immer auf der Suche nach dem perfekten Ton. Erstaunlich ist die Vielfalt von pluckernden Beats über Klangwolken bis hin zu traumhaften Flächen, welche er genial in den Dienst der Songs zu stellen weiß.
Was auch für das Spiel des Ausnahmedrummers gilt, der alleine schon ein Ereignis darstellt. Seine rhythmischen Modulationen fügen sich trotz ihrer Komplexität gut ein, weil es ihm auch gelingt einfach nur den Takt zu halten und die anderen zur Geltung zu bringen. Wunderbar im Ton, fein in der Dosierung kommt jeder Schlag herrlich auf den Punkt, die Ausbrüche wirken wie Reisen in eine andere Welt. Ihm zuzusehen macht wirklich Spaß, wie er sich teilweise verrenkt ist bei aller Lockerheit atemberaubend.

Was uns zum Problem der Bildbearbeitung bringt, die einfach viel zu schnell geschnitten ist, als dass man ihm wirklich folgen könnte. Nur ganz selten bleibt die Kamera auf einer Einstellung, weswegen es schwer fällt sich in den Bilderreigen fallen zu lassen. Ganz besonders weil die Bühne wie bei all den Konzerten eher spärlich ausgeleuchtet ist und dadurch vielen Einzelheiten verborgen bleiben, die der geneigte Proggie gerne gesehen hätte. Klanglich hingegen ist „Closure/Continuation“ perfekt umgesetzt, hier kommen die Feinheiten zum Tragen, ein fantastischer dichter Soundteppich hüllt einen ein.

Das Material, fast ausschließlich aus dem komplett dargebotenen neuen Album sowie dem Referenzwerk „In Absentia“ und „Fear Of A Blank Planet“ erzeugt eine unglaubliche Tiefenwirkung. Allerdings klingt die Stimme von Steven Wilson angeschlagen, von ein paar Tagen zuvor in Stuttgart hatte ich sie deutlich besser in Erinnerung. Möglicherweise ist er etwas krank geworden, und zog den Gig dennoch durch. Da muss man jedoch hinterfragen, ob es sinnvoll war den letzten Gig zu filmen, weil man danach nicht mehr woanders filmen kann. So schwinden die Melodien gegen Ende leider ein wenig und schmälern den starken Gesamteindruck.

7,5 / 10