KAMELOT – Geiselwind, Music Hall Strohofer
Interview vom 17.11.12
Interviewpartner: Oliver Palotai (key.)
Homepage:
www.kamelot.com
F-R:
Moin Oliver, zunächst meinen Glückwunsch zu eurem neuen Album „Silverthorn“. Bevor wir aber heute das Album näher beleuchten, erzähl doch bitte mal etwas über die Sängersuche und letztendliche Verpflichtung von Tommy Karevik (voc., SEVENTH WONDER) als Nachfolger von Roy Khan.
Oliver:
Tommy war ja schon bei der letzten Europa-Tour als Backup-Sänger dabei, und der Witz ist, dass er uns damals gar nicht so überzeugt hat, weil er immer ein bisschen schüchtern war, auch auf der Bühne. Mit den Einstellungen vom Monitorsound auf der Bühne war die Stimme oft zu leise, und da ist es immer schwer einzuschätzen, wie gut er wirklich als Sänger ist. Dann kam natürlich das Auditioning von den bis zu 800 Sängern, die sich beworben oder die wir im Internet gefunden haben. Einer der ersten Songs, die ich geschrieben habe, war „Song for Jolee“. Den haben wir rausgeschickt an eine engere Auswahl von Sängern, und eben auch an Tommy. Und was da zurückkam, was er aufgenommen und uns dann zurückgeschickt hat, das hat uns alle weggeblasen. Da hat es eigentlich schon fast festgestanden. Wir hatten zwar so ein bisschen unsere Zweifel, was eben die Live-Performance angeht, weil Roy eben doch ein sehr starker Charakter auf der Bühne war. Ich denke aber, die Tatsache, dass er jetzt eben ein festes Bandmitglied war, hat ihn um 100 % gewandelt. Bei „Masters of Rock“, „Bang Your Head“ und „Wacken“ war es, als ob wir jetzt schon seit Jahren zusammenspielen.
F-R.:
„Silverthorn“ selbst wurde diesmal ein Konzeptalbum mit einer abgeschlossenen und viel Tiefgang versehenen Story. Wer ist der Urheber dieser Geschichte und auch Umsetzer in lyrischer Hinsicht auf dem Album?
Oliver:
Die Grundidee kommt von der Band. Es hat jeder was beigesteuert. Zum größeren Teil Tommy und Sascha (Anm.: Paeth), dann ich und Thomas. Und ausgearbeitet, also ausgeschrieben für dieses Booklet hat das Ganze in Englisch Amanda Somerville (u. a. AINA).
F-R.:
Es ist aber eine erfundene Geschichte?
Oliver:
Ja, basiert ein bisschen auf der klassischen griechischen Tragödie. So ein bisschen die Elemente der klassischen Tragödie und das eben ins 19. Jahrhundert transferiert.
F-R.:
An der Umsetzung war neben der fast kompletten Band wieder euer Produzent Sascha Paeth (AVANTASIA) mit seinem Team beteiligt. Maßgeblich oder mehr in beratender/unterstützender Form?
Oliver:
Vielleicht erzähl ich erstmal, wie die Songs so entstehen: Also erstmal haben Thomas (Anm.: g., Youngbloodund) und ich uns getroffen. Einmal in Florida, dann haben wir uns in in Stuttgart getroffen, um Songs zu schreiben. Da entstanden, ich würde sagen 75 % der Songs. Danach kam Tommy dazu, als er dann bestätigt wurde. Das war alles noch bevor wir überhaupt wussten, wer letztlich Sänger werden würde. Und dann wurden die Vocal-Melodien geschrieben. Tommy war auch bei mir in Stuttgart bzw. Aidlingen, so heißt das kleine Dorf, wo ich wohne. Danach ist Tommy ins Studio gegangen, wo er mit Sascha weitergearbeitet hat. Bei Sascha gibt es nicht eine klare „Songwriting-Recording-Abmisch-Periode“, sondern das fließt so ein bisschen ineinander. Man muss es sich so vorstellen: Tommy improvisiert Melodien, Sascha nimmt die verschiedenen Schnipsel auf, und das setzt man dann zusammen zu Vocal-Melodien. Ein Teil davon entsteht so. Andere entstanden dann eben in Aidlingen oder auch in Florida. Drei Songs haben Tommy und Sascha zusammen geschrieben, „Falling Like The Fahrenheit“, „Prodigal Son“ und „Ashes to Ashes“. Das wurde dann an mich weitergeleitet für die Orchestration. Das kommt immer ganz am Ende, sozusagen oben drauf. Anschließend wird das natürlich fertig produziert und abgemischt.
F-R.:
Simon Oberender (key., BEYOND THE BRIDGE), der auf „Silverthorn“ für das Mastering verantwortlich war, ist Ende September überraschend verstorben. Wie schwer hat euch sein Ableben getroffen?
Oliver:
Simon war teilweise Recording-Engineer und er hat das Album gemastert. Das waren eigentlich so seine beiden Posten. Die Nachricht hat uns völlig umgehauen. Er ist so ein ganz junger Kerl aus Esslingen gewesen. Das muss man sich mal vorstellen: Die Gate-Studios, das ist eine ganz renommierte Adresse weltweit in der Metal-Szene, und es da hingeschafft zu haben, da müsste man eigentlich denken, jemand ist glücklich. Und dann das! Also, wir haben das bis heute nicht so richtig verarbeitet.
F-R.:
Mit „Sacrimony (Angel of Afterlife)” habt ihr ein Video zum Album veröffentlicht, dass die Story zum Album mit schauspielerischer Inszenierung in Kurzform widerspiegelt und die Band mehr oder weniger in den Hintergrund rückt. Das Video selbst werden die meisten aber erst verstehen, wenn sie die Geschichte zum Album kennen. Wie siehst du das?
Oliver:
Wenn man nur das Video sieht, kann man sich vielleicht so ein bisschen was zusammensetzen, aber man muss die Geschichte kennen.
F-R.:
In meiner CD-Besprechung habe ich „Silverthorn“ u. a. beschrieben mit „Silverthorn“ ist in seiner Gesamtheit KAMELOT - keine Frage, aber „Silverthorn“ ist nicht „The Black Halo“ oder „Ghost Opera“. Wie stehst du selbst zu dieser Einschätzung?
Oliver:
Meine Intension war, dass ich eigentlich ein bisschen von dem Pfad abweichen wollte, den wir gegangen sind mit „Poetry For The Poisoned“ und „Ghost Opera“. Ich bin jetzt nicht der allergrößte Fan von diesen beiden Alben, vor allem von der Produktion her. „The Black Halo“ z. B. stellt für mich eine Referenz-Platte dar, was die Produktion angeht. Ich wollte eigentlich den Sound in die melodischen Stärken von den alten Alben mit der modernen Produktion der neuen Alben zusammenführen. Das ist mit „Silverthorn“ denk ich ziemlich gut gelungen. Also so sehe ich das Album. Das war auch die ursprüngliche Intension, die Melodien ein bisschen zurückzubringen; so die starken Songs und alles, aber mit der modernen Ausrichtung, die wir mit den letzten beiden Alben gegangen sind. Trotzdem denk ich ist das Album näher an „ The Black Halo“ oder „Epica“ dran, als an „Poetry For The Poisoned“.
F-R.:
Die Story zu „Silverthorn“ eignet sich meines Erachtens auch für eine Aufführung als Musical. Hat man im KAMELOT-Lager darüber schon einmal einen Gedanken verschwendet? Oder ist das noch zu frisch? Virgin Steele haben das gemacht, VandenPlas haben schon ein zweites Musical rausgebracht…
Oliver:
… würde sich das sicher anbieten, ja. Aber so was wäre ein Riesen-Prozess, weißt du. Das ist mehr, als eine Platte rauszubringen oder eine DVD. Das ist sicher ein ganz interessanter Gedanke. Aber: Allein, wenn man mal nur kleine Musical-Elemente auf der Bühne integrieren möchte, braucht es zuviel Planung, kostet es zuviel Geld – was man manchmal gar nicht denkt. Selbst wenn man nur einen blöden Stuhl oder so einen Thron auf die Bühne stellen würde: Man muss immer bedenken, man muss Platz in den völlig überfüllten Trailern und Bussen finden. Das hab ich auch erst dann geblickt, als ich mal so richtig intensiv auf Tour war. Klar, man müsste eine völlig unabhängige Musicalproduktion starten, die eigentlich mit KAMELOT fast nix mehr zu tun hat.
F-R.:
Aktuell ist etwas über die Hälfte der Europa-Tour zum Album rum. Wie ist dein Résumé bis jetzt?
Oliver:
Wir sind super happy, weil wir ja auch nicht wussten, wie Tommy empfangen werden würde. Wir haben bei den ersten Festivals zwar gemerkt, dass es sehr positiv war, aber wie sich das jetzt dann an den verschiedenen Orten auswirken würde – wir kommen ja immer wieder zu den gleichen Venues zurück. Insofern sind wir super zufrieden, bis zu „Tommy“-Sprechchören jeden zweiten Abend – es ist super! Damit sind wir wahnsinnig happy. Ansonsten merkt man, dass sehr viele Bands unterwegs sind im Moment. Wir haben auch gerade einen Flyer in der Hand gehabt. Das ist krass, wie viele hochklassige Bands im Moment auf Tour sind. Es ist nicht der allerbeste Zeitpunkt, trotzdem können wir ganz zufrieden sein mit den Besucherzahlen. Dann merkt man in manchen Ländern, dass dort einfach Krise ist. Im Süden ist es einfach so, das spürt man. Das schreiben auch die Fans. Sie wären gern gekommen, aber sie können es sich nicht leisten. Und das merkt man danach an den Verkäufen so ein bisschen, wobei die Verkäufe von der Platte sehr zufriedenstellend sind.
F-R.:
Wie fühlt Tommy sich eigentlich in der Band?
Oliver:
Er fühlt sich wohl. Er ist natürlich nicht so Tour erfahren wie alle anderen, das heißt am Anfang hat er schon ein paar - Anfängerfehler kann man vielleicht nicht sagen -, aber es sind so Kleinigkeiten, an die man sich erst gewöhnen muss, vor allem auch im Tourbus. Aber mittlerweile hat er sich eingelebt, und wir haben einfach wahnsinnig viel Spaß. Er ist ein richtiger Scherzkeks. Vor allem, weil Roy nie da war während des Tages. Er kam immer kurz vorm Konzert, und dann war er wieder weg. Von dem haben wir nie was gesehen. Und Tommy ist die ganze Zeit da. Es ist so ein bisschen wie ein Schulausflug
F-R.:
Da hast du schon die Überleitung gebracht. Die Frage kennst du ja auch schon: Pleiten, Pech und Pannen. Ihr seid aktuell auf Tour. Gibt’s schöne, lustige Anekdoten von der Tour zu erzählen?
Oliver:
Also lustig nicht, aber wir hatten einen kleinen Busunfall. Da ist ein Reifen vorne links auf der Autobahn in Frankreich geplatzt. Das ist immer so ein Moment: Du liegst in der Koje, plötzlich gibt’s nen Riesenschlag und der Bus fängt an zu wackeln. Und dann spannt man sich immer an, weil man erwartet, jetzt kommt gleich der nächste Schlag oder so. Ich hatte mal einen etwas schwereren Unfall mit EPICA in den kanadischen Bergen erlebt. Es ist immer so ein bisschen Angst, die man sowieso hat: Du liegst in der Koje die ganze Nacht, der Bus rauscht über die Autobahn; du siehst ja nicht, wo du lang fährst. Das war recht unangenehm, wobei der Busfahrer super reagiert hat. Hat auf die Spur gehalten, rechts ran usw. War auch auf dem letzten Tour-Video. Da sieht man das ganz gut. In Italien hat es dann unseren Haupt-Techniker erwischt mit einer Thrombose. Da knabbern wir immer noch dran, weil da so ein ganz unersetzliches Mitglied fehlt, der die ganzen Abläufe kennt. Da kann man nicht einfach jemanden reinholen. Das ist ziemlich schwierig gewesen. Der musste dann von Italien mit dem ADAC nach Deutschland transportiert werden, weil italienische Krankenhäuser so ihren eigenen Charme haben.
F-R.:
So, dann kommen wir auch schon zum Schluss: Noch deine persönlichen Worte an unsere Leser und eure Fans.
Oliver:
Was ich immer sage: Dass man möglichst offen bleibt gegenüber allen Experimenten in der Entwicklung. Wenn man KAMELOT-Fan ist, muss man das natürlich auch sein. Jede Platte ist immer ein bisschen anders, und das wird auch in der Zukunft so bleiben. Dass man einfach nicht in Schubladen denkt, nicht in Kategorien, sowohl in der Musik wie auch in allen anderen Bereichen. Mein Haupt-Motto oder Haupt-Credo ist immer: „Fuck the mainstream“. Einfach abseits der Spur gucken, was so passiert. Da ist meistens die Party.
F-R.:
Und eben bei den KAMELOT-Konzerten…
Oliver:
Ja, da natürlich auch!
Ich danke dir für das Interview. Alles Gute, noch für die Tour. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder zu so einem angenehmen Interview!
Mike von FFM-Rock Foto by Carina Reich