FINSTERFORST

08 Finsterforst

Interview vom 21.08.23
Interviewpartner: Olli Berlin (voc.) und Simon Schillinger (git. voc.)

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FINSTERFORST

FFM-Rock:
Moin ihr beiden, meinen Glückwunsch zum neuen Minialbum „Jenseits“. Nach fünf Studioalben, das letzte („Zerfall“) in 2019 kommt jetzt endlich eure dritte EP raus. Den Fan und Beobachter habt ihr damit lange auf die Folter gespannt. Mehr als zwei Jahre hat es nach der Growdfunding Aktion im August 2021 letztendlich gedauert bis „Jenseits“ die Tiefen des Schwarzwaldes verlassen durfte. Kannst mal im Zeitraffer die Gründe hierfür erläutern?

Olli:
Hi Mike, vielen Dank erstmal! Die Gründe für die Verzögerung sind vielfältig. Ganz offen muss man sagen, dass wir die Logistik anfangs unterschätzt haben. Wir hatten uns im Vorfeld des Crowdfundings einvernehmlich von unserem alten Label getrennt und wollten das Ding eigentlich komplett in Eigenregie machen. Nun ja, Vertrieb ist nicht unsere größte Stärke und hier und da gab es dann noch andere Verzögerungen, die wir vorher nicht auf dem Schirm hatten, zum Beispiel über ein halbes Jahr Wartezeit bei Vinyl, weil der Rohstoff knapp war. Zeitgleich ergaben sich auf der Zielgeraden unerwartet Optionen, so dass wir nun am Ende mit AOP zusammenarbeiten, die bisher unsere Erwartungen in jeder Hinsicht übertreffen. Die Kehrseite der Wartezeit ist, falls es für unsere Fans ein Trost ist, dass wir aktuell so viel Energie und Freude in die Band pumpen wie seit langer Zeit nicht mehr, weil es gerade einfach so aussieht, als hätten wir den perfekten Komplizen an unserer Seite.

FFM-Rock:
„Jenseits“ – ein Song, vier Kapitel, Spielzeit 40 Minuten. Das klingt nach einem Konzeptalbum. Was erwartet den Hörer textinhaltlich?

Olli:
Tatsächlich ist das die erste Platte, die von Beginn ihrer Entstehung an ein ganz klar umrissenes Konzept hatte. Ein langer Song mit einem zusammengehörigen Text in 4 Kapiteln, der Titel stand schon vor dem Text, was zumindest in meiner Zeit sonst nie so war, auch war vor dem ersten Ton klar, dass wir das Experiment mit dem cleanen Gesang zu Anfang wagen und vieles mehr war fest umrissen. Als das alles stand, fing ich an, mit dem Titel jenseits im Kopf zu überlegen, wie ich einen Text schreibe, der 40 Minuten Musik füllt und inhaltlich keine Schleifen dreht.
Inhaltlich bin ich dabei stark beeinflusst gewesen von dem ganzen Wahnsinn um Corona. Auf der einen Seite wirklich nervige Einschränkungen im Alltag, Kontaktverbote, Quarantäne und all der Mist, auf der anderen Seite Menschen, die von einer weltweiten Verschwörung und Diktatur sprachen und als Höhepunkt den Reichstag stürmen wollten. Ich war dabei sowohl im Arbeitskontext, als auch im privaten Bereich immer wieder zwischen den Fronten und habe weder das übertriebene Sicherheitsbedürfnis auf der einen Seite, noch die in meinen Augen falsch verstandene Idee von Freiheit auf der anderen Seite nachvollziehen können. Und so ist der Text eine Auseinandersetzung mit dem Thema Freiheit. Wie sie entsteht, wie sie uns im Innersten genommen wird bzw. wir sie uns selbst nehmen oder bereitwillig abgeben. Aber es ist auch eine klare Abgrenzung vom Zeitgeist mit der Überhöhung des Selbst und dem Streben nach Singularität in einer ohnehin schon äußerst komplexen Welt. Insgesamt ist „Jenseits“ eine Einladung, unsere Gesellschaft vor diesem Hintergrund für sich zu reflektieren und vielleicht hier und da Ideen zu entwickeln, wie man sich von manchen unsichtbaren Zwängen und Dynamiken löst.

FFM-Rock:
Die Frage der Fragen an den Mitkomponisten von „Jenseits“ stellt sich natürlich immer. Gibt es merkliche musikalische Unterschiede zwischen den letzten und dem neuen Album? Der aufmerksame Beobachter bekam ja bereits mit, dass die Orchestration mit Instrumenten wie die Flöte und das Akkordeon angereichert wurde.

Olli:
Tatsächlich würde ich es weniger als Unterschiede und mehr als ziemlich konsequente Weiterentwicklung oder gar Evolution unseres Sounds bezeichnen. Das Akkordeon ist bei uns ja auch nicht neu, es wird allerdings ganz anders eingesetzt als in den Anfangstagen der Band. Wenn Du mit der Flöte das Duduk meinst, das ist glaube ich tatsächlich ganz neu bei uns, aber ebenfalls vom großartigen Sevan (Anm. Red.: Kirder) eingespielt, der uns schon lange mit seinen Flötenkünsten (ich sehe Euch grinsen, Schluss damit) dabei hilft, einen noch abwechslungsreicheren Sound zu erschaffen. Übrigens gibt es keinen Mitkomponisten. Simon schreibt die Musik, er nimmt hier und da Ideen oder Wünsche mit, aber das ist seine Welt, in der wir nur glückliche Gäste sind. Und manchmal wird im Studio dann noch experimentiert mit bestimmten Dingen, was mal völlig in die Hose geht und mal zu musikalischen Momenten führt, die uns selbst Gänsehaut machen.

FFM-Rock:
Longtracks sind und waren schon immer eure Stärke. Auch jetzt findet sich mit "Kapitel 4 – Katharsis" ein 15 Minuten langes Epos auf der neuen Platte wieder. Sind solche langen Tracks im Vorfeld bewusst geplant oder ergeben diese sich erst beim Songwriting selbst?

Olli:
Auf den Alben war es immer eine halb bewusste Entscheidung in dem Sinne, dass klar war, dass Simon sich beim letzten Song austobt und viele Ideen nutzt, die in den anderen Songs einfach nicht in die Struktur gepasst hätten. In den langen Songs gibt es einfach den Raum, um auch völlig unterschiedliche Passagen über einen größeren Umweg stimmig zu verbinden. Ich persönlich bin darüber froh, denn so lange Songs erlauben es auch, wirklich eine Geschichte zu erzählen, sowohl musikalisch als auch mit Worten. Wir machen eben keine für Spotify optimierte Musik, wir wollen die Leute ein bisschen entführen und emotional über Berge und Täler mitnehmen, dafür braucht es den Platz für Spannungsbögen, sonst ist es nur die gleiche Erregungskultur, die uns im Alltag eh alle umgibt. FINSTERFORST sollen eine Pause davon sein.

FFM-Rock:
Betrachten wir für den Laien mal näher euer Songwriting, die Vorproduktion und eben die finale Produktion. Das ist bei sechs Bandmitgliedern im Nebenjob und vielleicht noch mit Familie schon eine sehr große Herausforderung, zumal jetzt auf „Jenseits“ die Orchestration doch noch einmal deutlich zugenommen hat. Wie geht ihr eine Produktion in der Regel an und habt diese hier dann letztendlich umgesetzt?

Simon:
Wir haben schon bei unseren letzten Produktionen realisieren müssen, dass die komplette Arbeit mit einem abartigen Aufwand verbunden ist. Und wenn ich auf mein Bauchgefühl vertraue, dann wird das in Zukunft auch nicht wirklich weniger oder einfacher werden. Als Erstes muss und will ich persönlich auf jeden Fall den größten Dank meiner Familie aussprechen. Ich habe nebst meiner Frau einen Haufen Kinder zu Hause. Da muss ich nicht großartig erklären, dass sich die Zeit neben Familien- und Arbeiterleben eher etwas begrenzt zeigt. Aber dennoch ist es mir möglich – bzw. wird mir ermöglicht - irgendwo die Zeit für das Songwriting aufzubringen. Damit ist jedoch natürlich noch längst nicht alles getan. Du sprichst den Begriff der Vorproduktion an. Diese gestaltet sich bei uns bisher ehrlich gesagt noch gar nicht so ausgereift. Ich schreibe die komplette Musik traditionell auf MIDI-basierten Sounds (für den Laien: ich notiere für alle Instrumente die Musik und am Ende kann man sich das fertige Arrangement „anhören“ - klingt dann eher nach billiger Computer-Musik), schicke diese Songs der Band, sodass jeder seinen Part üben/spielen kann, bevor es ins Studio geht. Vereinzelt haben wir uns vielleicht mal im Proberaum dann vorab getroffen, um etwas anzuspielen bevor es an die Aufnahme geht. Das kam allerdings bisher eher selten vor. Wir sind also auf dem Gebiet einer sogenannten Vorproduktion noch ausbaufähig. In Zukunft wollen wir uns da vorab schon etwas besser auf die eigentliche Studioproduktion vorbereiten. Aber auch das bedeutet dann NOCH mehr Arbeit, mehr Aufwand und mehr Zeit, die man in Anspruch nehmen muss. Und naja, danach geht es ja dann erst richtig los – Studio! Dort habe ich dann mit Christoph Brandes in den Iguana Studios intensive Wochen zu absolvieren. Diese gestalten sich wie immer sehr komplex, stressig, spaßig, cool, verrückt, bekloppt und auch durchaus anstrengend. Wir haben einfach das Glück mit Christoph (Anm. Red.: Brandes, Iguana Studios ) einen Partner und Freund an unserer Seite zu haben, der ganz genau weiß, was mit FINSTERFORST zu tun ist, damit am Ende der Produktion immer wieder ein absolut brachial geiles Ergebnis zustande kommt. Bevor wir es nach der Studioaufnahme an den Mix geht, habe ich dann jedoch zunächst noch bei mir in meinem Studio zu tun – die ganze Orchestration samt etlicher synthetischer Arrangements kommt natürlich nicht von alleine. Ja... so eine Platte umfasst unglaublich viel Arbeit. Innigster Dank geht hier wie gesagt an Familie, die hinter einem steht und auch an Christoph, der unserem ganzen Werk die passende Farbe liefert.

FFM-Rock:
„Jenseits“ erscheint über ein neues Label. Welche Gründe waren für den Wechsel von Napalm Records ausschlaggebend und wieso fiel die Wahl auf AOP Records?

Olli:
Natürlich können wir über die konkreten Gründe für die Trennung von Napalm nichts sagen. Aber ich verstehe die Neugier und sage zumindest mal, dass weder Napalm, noch wir uns die Augen ausheulen, Streit gab es allerdings auch nicht. Beide Seiten hatten glaube ich andere Erwartungen aneinander und es hat einfach nicht mehr gepasst, trotzdem haben uns Napalm besonders mit der „Mach Dich Frei“ eine wahnsinnige Reichweite beschert und dafür werden wir immer dankbar sein. AOP Records schienen uns aus der Ferne betrachtet einen richtig guten und leidenschaftlichen Job für ihre Bands zu machen, also haben wir auf der Suche nach einem reinen Vertriebspartner für die jenseits einfach mal die fertige Platte an Sven (Anm. Red.: Rosenkranz) geschickt und gefragt, ob er sich vorstellen kann, uns dabei zu helfen. Sven war aufgrund des EP-Formats skeptisch, aber von der Musik so überzeugt, dass er uns beim Vertrieb trotzdem irgendwie helfen wollte. Und als Überzeugungstäter machte er plötzlich hier und dort immer noch ein bisschen mehr und hatte auch für alles wertvolle Ratschläge im Gepäck, so dass wir das Gefühl haben, mit ihm lange und auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können und zu wollen. Wir hoffen, das beruht auf Gegenseitigkeit.

FFM-Rock:
Auch ihr habt euch vor dem Album-Release der Veröffentlichung mit visuellen Medien bedient und bislang zwei Song Kapitel als Lyrik Videos an den Start gebracht. Wie wichtig ist gerade dieses Medium Video für euch?

Olli:
Diese Art von Video ist Promo und heute glaube ich unerlässlich. Die Zeiten, in denen Leute sich aufgrund von Reviews Platten gekauft haben, sind wohl vorbei, dafür ist Musik spätestens am Tag des Release viel zu schnell kostenlos zu haben. Also müssen wir quasi in Vorleistung gehen und zeigen, dass da was Geiles kommt. Richtige Musikvideos sind dann nochmal ein ganz eigener Kosmos, der viel Spaß macht, aber auch Stress und Kosten bedeutet. Für die jenseits war das einfach unrealistisch. Um der Scheibe gerecht zu werden, hätten wir einen 40-minütigen Film machen müssen, dafür fehlt uns das Budget und die Zeit.

FFM-Rock:
Kommen wir kurz noch zu den so genannten neuen Medien, den Downloads und Streams. Viele Bands und Plattenfirmen sehen darin die große Zukunft. Wie sieht es dazu bei euch im Hinblick auf „Jenseits“ aus?

Olli:
Das finde ich immer witzig, wenn von Zukunft die Rede ist. Downloads und Streams sind nicht die Zukunft, das ist die Gegenwart. Sie sind natürlich coole Werkzeuge, um möglichst viele Menschen zu erreichen, aber die Kosten einer Studioproduktion holst Du in unserer Größe damit nicht wieder rein. Dazu kommt, dass unsere Musik ja überhaupt nicht für diese Formate geschrieben ist, das macht am meisten Sinn mit kurzen Tracks, schließlich gibt es Kohle pro Stream bzw. Download. Insofern können wir schon sehr glücklich sein, dass wir auch noch die klassischen physikalischen Tonträger halbwegs gut verkauft kriegen. Ich finde es auch insgesamt schöner, wenn ich was in der Hand habe, das gibt dem ganzen für mich eine andere Wertigkeit. Und das Gesamtwerk beinhaltet für mich immer auch das Artwork, denn auch da geht ja viel Überlegung und Leidenschaft rein.

FFM-Rock:
Diese Frage bekommen alle meine Interviewpartner gestellt. Kannst du mal eine lustige Anekdote von einer Show oder aus dem Proberaum erzählen, die am besten natürlich noch nicht veröffentlicht wurde?

Olli:
Die unveröffentlichten Geschichten sind ja meist aus gutem Grund unveröffentlicht... Ich verrate mal, dass es 2016 eine Show in Budapest gab, bei der ich in Hotpants auf der Bühne war. Am Abend vorher in Wien habe ich mich unter Alkoholeinfluss dazu breitschlagen lassen, die Hotpants einer anwesenden Dame anzuprobieren. Die sah dann derart mies an mir aus, dass mir als nächstes die Wette an den Kopf geklatscht wurde, dass ich mich nicht trauen würde, damit auf die Bühne zu gehen. Ich glaube, ich musste dafür eins meiner dreckigen Bühnenhemden eintauschen, aber ich hab die Hotpants behalten und am nächsten Abend getragen. Zum Glück gibt’s davon meines Wissens kein Bildmaterial.

FFM-Rock:
So, dann sind wir auch schon am Ende der Fragerei. Zum Schluss bitte noch einige persönliche Worte an unsere Leser und eure Fans.

Olli:
An eure Leser einfach ein herzliches Hi! Bleibt bei FFM-Rock dran, nicht nur Musiker machen das vor allem aus Liebe und Leidenschaft für Musik, sondern auch der allergrößte Teil der schreibenden Zunft. Dafür auch dir ein fettes Danke Mike! Und unsere Fans? Ihr seid der Wahnsinn! Danke für Eure Treue und das Vertrauen trotz der viel zu langen Wartezeit auf "Jenseits". Wir hoffen, dass es das für Euch wert war. Und an alle immer die Einladung, uns bei Konzerten einfach anzuquatschen, wir beißen uns nur gegenseitig.

Danke für das Interview und alles Gute für die Zukunft!

Mike von FFM-Rock                                                                                                        Foto by Finsterforst