H.E.A.T - Trier

05 heat tourflyerKonzert vom 12.05.2022

Support: REACH, TEMPLE BALLS

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REACH
TEMPLE BALLS

Nicht nur für die Künstler kam in der Pandemie so einiges durcheinander, auch die Fans mussten sich oft umstellen und immer wieder Absagen hinnehmen. Die mehrfach verschobene Tour der schwedischen Hair Metaller wurde letzten Endes dann so durchgezogen, dass von den drei Dates in meiner Nähe genau das eine im Mergener Hof zu Trier nicht mit einem anderen Konzert kollidierte. Mit den Landsleute von REACH und den Finnen TEMPLE BALLS hatte man ein reines Skandinavien-Package geschnürt. Der Clubeingang ist direkt in der Altstadt zwischen Porta Nigra und Bahnhof, über einen Anbau gelangte man in den Keller, der Erinnerungen weckt. Ebenso wie früher im Ex-Haus präsentiert sich die Location als altehrwürdiges Kellergewölbe, scheint in Trier Schule zu machen.

TEMPLE BALLS
Hatte man noch Angst, dass es da unten arg kuschelig wird, so waren gerade mal abgezählte 28 Nasen dort anzutreffen als der erste Support die Bretter enterte. Klar waren viele noch an der Theke oder rauchen, allerdings war es doch schon recht mau. Als Musiker hat man da nur zwei Auswahlmöglichkeiten, entweder Augen zu und durch oder gleich wieder einpacken. Den Fünf war es vollkommen egal, wie viele da unten standen, sie kamen heraus als gäbe es kein Morgen und legten amtlich los. Bassist Jimi Välikangas bangte die ganze Zeit unentwegt, wirbelte seine Achtziger-Dauerwelle gehörig durcheinander.

Überhaupt des Jahrzehnt des Hard´n´Heavy, TEMPLE BALLS waren knietief darin gefangen und standen dem HEADLINER in Nichts nach. Getönte Haare, gerne, gelbe Lederjacken, bitteschön, zerschlissene Jeans sind ohnehin wieder in Mode, satter Haaarwuchs bei allen Bandmitgliedern weniger. Frontmann Arde Teronen hatte Mühe seine Matte ständig aus seinem Gesicht streichen zu müssen, aber bei amtlichem Stageacting passiert das nun mal.
In der Disziplin konnten sie ohnehin am meisten punkten, was bei vier Leuten vorne in Körpertetris ausartete, da neben technischem Gerät das Keyboard von Jona Tee schon aufgebaut war. Die Jungs mussten echt aufpassen, dass sie sich nicht gegenseitig über den Haufen rannten. Neben Teronen war es vor allem Niko Vuorela, der immer an der Front zu finden war seine Jackson auf dem Oberschenkel präsentierte, während er seine Soli zockte.

Jene teilte er sich mit Jiri Paavonaho, der seine Les Paul schön braten ließ, was eben eine Les Paul so macht. Zweistimmig funktionierte da ebenfalls ein paar Mal, vor allem als beide bei einem Instrumental das Rampenlicht beanspruchten. Dazu steuerte er viel zu den Gangshouts bei, bei denen man sogar ein paar nette Arrangements einbaute. Um das so richtig nach Stadion klingen zu lassen, wurde beim Gesang viel Hall drüber gelegt, aber mein Gott, so war das in den Achtzigern. Am Ende klang die Mischung aus ihren drei Alben mit Titeln wie „Hell And Feelin´Fine“, „Let´s Get It On“, „Kill The Voice“ oder „Bad Bad Bad“ klasse und machte so richtig Laune.

So holt man Zuschauer ab, denn auch wenn der Zuspruch an dem Abend nicht der Qualität angemessen war, tat das der Stimmung keinen Abbruch. Bei diesem jugendlichen Ungestüm, dieser unbändigen Frische muss man einfach mit. Auf Platte haben sie mich nicht ganz überzeugen können, aber solche Musik ist für die Bühne gemacht und die Formation ist es auch. Hinten schob Antti Hissa speziell mit den Becken richtig an, so dass die Arme der Zuschauer in seinem Takt nach oben gingen. Auch mit Singalongs kam der Sänger immer wieder durch, kein Wunder, erwiesen sich die Kompositionen als Ohrwürmer. So kam die Meute schnell auf Betriebstemperatur, an dem Abend haben sich TEMPLE BALLS viele neue Freunde gemacht.

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REACH
Allerdings folgte der Tritt auf die Bremse umgehend, die zweite Vorband war einigen zu sehr Kontrastprogramm. Mit den Achtzigern hatte das Trio sehr wenig am Hut, das roch eher nach Neunzigern, wobei das nicht so einfach festzulegen ist, da die Truppe aus vielen Einflüssen speiste. Als Threepiece standen da sicherlich MUSE Pate, Titel wie “Running On Empty“ oder „The Law“ waren schon ganz typisch für die Alternative-Dekade. Jene rockten ganz ordentlich, weswegen das Hard Rock-Publikum damit noch am ehesten etwas anfangen konnte. Der Opener „Into Tomorrow“ war sehr getragen, wenn Sänger und Gitarrist Ludvig Turner ins ganz hohe Falsett ging weckte das Assoziationen an spätere LEPROUS.

Der Frontmann war auch stimmlich sehr variabel, konnte jedem Song so seine eigene Identität verleihen. Fast schien es, als ob der Gig einer bestimmten Dramaturgie folgen sollte, im weiteren Verlauf kamen schnelle progressiv groovende Klänge zum Zuge, bei denen Turner ins Frickeln kam, aber immer sehr zurückhaltend. In der Mitte kamen exzentrischere Nummern zum Einsatz, wie das seltsam beschwingte „Higher Ground“, und gegen Ende dann die für die Zuschauer versöhnlicheren Nummern.
Schon das Erscheinungsbild mit etwas adretteren Klamotten, die ganze Körpersprache war eine andere. Turner verharrte auf seinem Platz hinter dem Mikrofon hielt seine Linkshändergitarre wesentlich höher als die vorangegangene Band. Bassist Soufian Ma´Aoui hätte zwar ohne Brille als Rachel Bolan von SKID ROW durchgehen können, er blieb ebenso breitbeinig mit minimalen Aktionsradius stehen. Einzig Drummer Marcus Johansson könnte man in einer der beiden anderen Bands verorten.

Der war sehr dynamisch unterwegs, schlug kraftvoll auf die Becken, sorgte so für Akzente und ließ auch öfter die Sticks kreisen, was ja eher Rockstarposing ist. Allerdings war es sein forderndes Spiel, das die Songs etwas an Atmosphäre kosteten, bei mehr Zurückhaltung hätte man in New Art Rocksphären vordringen können. So kamen vielleicht ein wenig zu viele Zutaten zusammen, was über die gesamte Dauer schon etwas zerfahren wirkte. Obendrein kamen noch Keyboards und zusätzliche Gesänge vom Band, was es schwer machte zu folgen, wenn man auf geradlinig treibende Mucke gepolt ist an dem Abend.

Schlecht war die Darbietung keineswegs, das Zusammenspiel war sehr gekonnt, und technisch dürfte man die anderen locker im Sack haben. Der Ideenreichtum und der Mut machten den Gig hörenswert, wenngleich natürlich die Reaktionen ebenso introvertiert ausfielen. Es dauerte einige Zeit, bis sich die Zuschauer daran gewöhnt hatten. Einige hätten REACH lieber als erste Band gesehen, was ich nachvollziehen kann. Ein Stück weit fühlte ich mich an den Auftritt von NINE INCH NAILS vor GUNS´N´ROSES erinnert, glücklicherweise zeigen die Fans heute mehr Toleranz, so dass die Kanonaden mit Essbarem ausblieben. Ich bin etwas hin – und hergerissen, ob ich solche interessanten Zusammenstellungen nun goutieren soll.

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Back In The Ring“ oder gemäß einem neuen Song „Back To The Rhythm“ ging es dann mit der Hauptattraktion des Abends, welche wie der erste Act des Abends mit Wucht sie Szenerie enterte. Die rifflastigen, metallischeren Titel vom letzten Longplayer waren als Einstieg natürlich optimal, gingen sie doch wunderbar direkt nach vorne und in die Nackenmuskulatur.
Die Mär von wenigen Leute, die Party für ganz viele machen, wurde schon oft überstrapaziert, hier war sie auf alle Fälle angebracht, denn mit den ersten Tönen brach der Sturm los. Da wurden oft nicht nur die Refrains komplett mitgesungen. Vielleicht haben noch viele Angst vor Corona und sind deswegen nicht gekommen, bei den Anwesenden dürfte es sich wie beim Autor verhalten, die Jahre ohne Konzerte haben den Hunger erst richtig geschürt.

Dieser dürfte bei Frontsau Kenny Leckremo noch stärker gewesen sein. Da kehrte er nach zehn Jahren zur Band zurück, die Tour war gebucht, doch dann kam die Seuche. Damit mutierte der Auftritt in Trier tatsächlich zum historischen ersten Reunionsgig, und die Freude darüber war dem Mann mehr als anzusehen. „The Heat“ war wirklich „on“ wie es im Introtape so schön heißt, welches bereits mitgesungen wurde, aber Leckremo war „on fire“ Wie wild sprang er auf der Bühne herum, fand dafür sogar eine Platz auf dem Drumriser, nahm sich einen Stick und schlug mit drauf und machte einen weiten Satz herunter.

Manchmal fiel er bei der Landung hin, bangte dann einfach auf Knien weiter. Bei seinen Vocals war er fast permanent ganz vorne, sang den Fans direkt ins Gesicht, schüttelte immer wieder die Hände seiner Anhänger. Corona, war das was? Durch seine Adern floss nur noch das Adrenalin, gegen Ende drehte er völlig durch. Da stellte er sich auf die kleine, wackelige Absperrung und musste dabei von den Zuschauern festgehalten werden, bei einem weiteren Versuch stürzte er, doch das war ich völlig egal, er genoss mit jeder Faser wieder da oben stehen zu dürfen.

Natürlich litt unter dieser Euphorie ein wenig der Beitrag, da kam nicht alles zu einhundert Prozent auf den Punkt. Aber das war an dem Abend gar nicht wichtig, es ging um die pure Freude an der Musik, dass endlich wieder gerockt wurde. Zu den „10“ bei Lautstärke, Bass und Höhen gesellte sich noch eine beim Übersteuern dazu, aber das war echt geschenkt an dem Abend, hier gab es nur Vollgas auf die Glocke. Die Becken rasselten und trieben alle Anwesenden weiter an, selbst bei seinem Solo forderte Crash noch die Meute.

Einzig Dave Dalone hielt in seinen Soli die filigrane Flagge hoch, hatte dabei oft Mühe einen Platz an der Rampe zu ergattern, zu präsent war sein Sänger dort. Meist versank er dabei unter seinem Hut und konzentrierte sich inmitten des Treibens auf sein Spiel. Doch kaum zurück auf seinem Platz spürte man, wie er den Szeneapplaus dafür entgegen nahm. Alle Musiker hielten Kontakt zu den Fans, sofern das möglich war, für Jona Tee blieb nur ein kurzes Winken, wenn mal der Weg frei war.
Das brachte einfach dieses urwüchsige Gefühl zurück, das es so nur in den engen Clubs gibt, mich ließ es an die Zeiten der Rockdisco im Nachbarort denken, wo bei Konzerten ähnliche Verhältnisse herrschten, einfach diese gewisse Maß an Chaos, das zum Rock´n´Roll gehört und etwas abhandenkam. Da lagen sich wildfremde Menschen in den Armen, schrien sich wahlweise gegenseitig oder die Musiker auf der Bühne an. Teilweise war gar nicht zu hören, ob der gute Kenny jetzt selbst sang oder nur sein Mikro in die Menge hielt.

Konzerte müssen vor allem größer sein als ihr Programm, wenn es etwas auszusetzen gab, dann höchstens an der Setlist. Was aber auch daran lag, dass mit der Rückkehr des Sängers der Fokus sich auf das erste Album verschob, der Hit vom zweiten Longplayer ließ wie gewohnt den Keller tanzen. Gerade von „Tearing Down The Walls“ vermisste ich die besten Stücke wie „Inferno“ oder „Mannequin Show“. Sicher hätte man länger spielen können als knappe eineinhalb Stunden, aber wer will bitte so lange ein derartiges Energielevel aufrecht erhalten? Genug hatten die Zuschauer noch nicht, also sangen sie das Outrotape mit „Sister Christian“ von NIGHT RANGER auch noch mit, das nenne ich mal Leidenschaft!

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Setlist H.E.A.T.:
One By One
Rock Your Body
Dangerous Ground
Emergency
Redefined
Straight For Your Heart
Late Nite Lady
Come Clean
-Drumsolo-
Back To The Rhythm
Beg Beg Beg
Cry
10.000 Miles
Living On The Run
Nationwide
A Shot At Redemption


Photos von Rainer Petry