PAVLOV'S DOG - Kassel
Konzert vom 02.05.2023
Website:
PAVLOV'S DOG
Wer heute den Begriff zeitlos gebraucht, mag an Rockmusik denken, wenn es eine musikalische Definition dafür gibt, dann trägt sie einen ganz besonderen Namen: PAVLOV'S DOG sind nicht irgendeine Band, sondern Urheber des Proggressive Rock. Neben Acts wie JETHRO TULL, KANSAS, GENESIS, YES, VAN DER GRAAF GENERATOR, FOCUS, PINK FLOYD, KING CRIMSON sowie auch MANFRED MANN'S EARTH BAND oder EMERSON, LAKE & PALMER eine weniger bekannte, umso signal gebendere Formation, aus deren Stammkader einzig Gründer-Gitarrist David Surkamp übrig blieb. In der BRD waren unter anderem Bands wie GROBSCHNITT, NOVALIS, PELL MELL oder ELOI maßgeblich.
Im Rahmen der pandemiebedingt auf 2023 verschobenen derzeit anlaufenden 'Hair Of The Dog'-Tour schlagen PAVLOV'S DOG im Theaterstübchen Kassel auf. An diesem raren Pflichttermin (elf Auftritte bundesweit!) für Musikgourmets und -kenner führte kein Weg vorbei. Die heute längst nicht mehr vorhandene Originalbesetzung der 1972 in St. Louis (Missouri), USA gegründeten Progrockband angeführt von David Surkamp ( geb. 23. Mai 1952, Gesang und Gitarre), Steve Scorfina an der Leadgitarre vormals bei REO SPEEDWAGON, Mike Safron (Drums), Rick Stockton (E-Bass), David Hamilton (Keyboard), Doug Rayburn (Mellotron und Flöte) und Siegfried Carver (gebürtig Richard Nadler; diverse Streichinstrumente darunter die seltene Vitar (bei diesem Instrument handelt es sich um eine Kombination aus Gitarre und Violine) brachte den Dreibeinigen Hund (PAVLOV'S DOG) in den Früh-70ern zum Laufen, dessen unerreichtes Debüt 'Pampered Menial' zu den Meilensteinen des Prog Rock gehört.
Heute lautet die sechsköpfige Besetzung von PAVLOV'S DOG laut aktuellem Stand wie folgt:
David Surkamp Gesang, Gitarre, Mandoline, Mundharmonika, Bass, Piano, Keyboard. Abbie Steiling Geige, Gesang, David Malachowski (Leadgitarre), Mark Maher (Keyboard), Rick Steiling (Bass) und Manfred Plötz (Schlagzeug).
Mit diesem Abend verbinden sich Erinnerungen. Zum ersten Mal eine per Tape aufgenommene LP von 1975 namens 'Pampered Manial' überspielt von einem Freund hörend, war ich komplett begeistert und erstaunt zugleich, wie vielseitig klassische Rockmusik tatsächlich sein konnte... und angetan von der extrem charismatisch bis theatralischen Frauenstimme, die in Wirklichkeit keine Frauenstimme war! David Surkamp's Falsett-Organ konnte schnell von jemandem, der es nie zuvor gehört hatte, verwechselt werden. Umso größer der Überraschungseffekt, dass dieses quälend hohe Organ tatsächlich einem Mann gehörte. PAVLOV'S DOG hieß dahinter stehende Band. Mein Tape befindet sich an einem extra besonders dafür ausgewählten Ort. Heute gebe ich um es lieber zu schonen, der LP den Vorzug.
Die von Höhen und Tiefen teils mit kuriosen Ereignissen einhergehende Band-Biografie spiegelt sich teils im Songmaterial dieser Legendären Combo wieder. Unübersehbar lässt der direkt über den Vorhängen befestigte mittels neonblauer Leuchtstofflampen signalgebend ins Auge fallende Schriftzug schon auf den ersten Blick erkennen, wo sich das Geschehen abspielt, nämlich im - Theaterstübchen.
Das Theaterstübchen wirkt ein wenig wie eine Art Nachtbar besitzt leichtes Kneipenflair ist jedoch trotz gedämpftem Licht meilenweit von einem derartigem Niveau entfernt, was den entscheidenden Unterschied ausmacht. Die Location liegt ein wenig abseits von der Innenstadt in einer Seitenstraße, zu Fuß oder mit dem Auto erreichbar. Die Kasseler Location lädt bei urig herunter gedimmtem angenehme Sicht gewähr leistendem Licht und schöner Dekoration im Innenraum zu einem Stelldichein der besonderen Art regelrecht ein. Das an zwei Monitoren seitlich an der Decke in Dauerschleife zu sehende Programm ist bunt gestaltet, darunter hauptsächlich die (von mir ungeliebte) Musikrichtung Deutsch-Rock, viel interessantes aus dem Bereich Singer Songwriting Musik, manch vergessenes Krautrock-Juwel und erlesene Classic Hard Rock-Perlen u. a. DEEP PURPLE Drummer Ian Paice und seine Band PURPENDICULAR stehen für September auf dem Plan. Vorn am Eingang ist ein Stand mit T-Shirts, Aufklebern, Lps, CD's und Postern, der optisch von zwei bevor die Band auf der Bühne musiziert namentlich genannten freundlichen Damen betreut wird, die sich in der Tat als treue PAVLOV'S DOG-Fans outen, platziert. Die Anwesende Besucherzahl im Saal suggeriert: Alle ca. 250 Karten im Theaterstübchen sind verkauft. Ursprünglich sollte das Covid 19-bedingt verschobene Konzert am 8.11.2022 stattfinden. Dem Umstand Rechnung tragend wurde es schließlich auf 2. Mai 2023 in gleicher Location verlegt.
Statt freier Fläche war das Ambiente dem Namen gerecht werdend, bestuhlt, somit konnten wir es gemütlich angehen. Ein Blick durch's Ambiente lässt erahnen, der Alters-Durchschnitt liegt an diesem Abend um die 50 – 60+, jüngere Fansemester bilden eine Minderheit, doch das fällt überraschenderweise kaum ins Gewicht. Viele Gäste geben ihre Kleidung an der Garderobe ab, während wir es vorziehen, uns ohne Zögern rechtzeitig drei gute Plätze zu sichern. Kurz bevor es losgeht, noch Cola und Orangenlimo bestellt... zunächst erscheint der Chef vom Theaterstübchen auf die Bühne und verkündet per Mikrophonansage, dass sich das Theaterstübchen freut, dieser verschobene bereits im November 2022 stattfinden sollende Event heute abend präsentieren zu können, dass die Band mit wenigen Ausnahmen hauptsächlich Material vom Debütalbum 'Pampered Menial' und dem dritten Album 'Has Anyone here seen Siegfried'? spielen würde, was massiv-lautstarken Jubel auf den Sitzplätzen auslöst, hinzu kommen vereinzelt Songs vom 1976er Studiowerk 'At The Sound Of The Bell' und dem aktuellsten, fünf Jahre zurückliegenden 2018er Output „Prodigal Dreamer“ womit sich der Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart spannt. Für einige wenige die nicht sitzen wollen, besteht Gelegenheit sich seitlich von der Bühne hinzustellen, links daneben befinden sich zwei Stehtische wo Getränke abgestellt werden können. Das Personal des Theaterstübchens hat den Event liebevoll organisiert, dazu tragen die jederzeit zuvorkommend höflichen Damen vom Thekenservice kräftig bei. In der Location herrscht vor dem Auftritt angenehm gemütlich urige Atmosphäre, als alle Gäste eingetroffen sind auch die letzten haben ihren Steh- oder Sitzplatz gefunden, - ist die Stimmung entspannt. Soviel entspannt heimeliges Flair findet sich selten.
Pünktlich um 20:00 Uhr betritt Maestro Surkamp die Bühne im Theaterstübchen. Als er beim ersten Song zum Singen ansetzt, geschieht ein Malheur, das Mikro ist noch nicht richtig eingestellt. David Surkamp nimmt's locker, lässt den Techniker kommen, der beide Mikros auf der Bühne mit nur zwei Handgriffen richtig einstellt und kommentiert dies grinsend mit einem kräftigen „Yes!“ Das Publikum spendet kräftig Beifall. Die nächsten zweieinhalb Stunden (einschließlich 30 Minütiger Pause) gehören PAVLOV'S DOG. Neben der kleinen Hauptbühne befinden sich links und rechts zwei kleine den Mittelabschnitt ergänzende Nebenbühnen. Die linke Seite gehört heute dem ruhig im Hintergrund agierenden Bassisten Rick Steiling mit voluminöser Langhaarmähne, während sein Gegenpart David Malachowski öfter Gelegenheit bekommt, sich neben ihm heftig an der Leadgitarre auszutoben. Gegenüber auf der Rechten Seite sorgen Geigerin Abbie Steiling und Keyboarder Mark Maher für effektvolle Spannungssmomente, das Schlagzeug von Manfred Plötz der präzise wie ein Schweizer Uhrwerk auf Becken und Felle schlägt, ist hinter David Surkamp aufgestellt.
David Surkamp hat sowohl als Sänger, Gitarrist und Vielseitigkeitsmusiker stets ein Ass im Ärmel, seine Ansagen sind ehrlich, leidenschaftlich, kommen von Herzen, öfters gelingt dem Bandleader trotz nachdenklich-trauriger Begebenheiten gar ein Lachen, womit ihm die Sympathien des anwesenden Publikums sicher sind, sein hohes Falsett-Organ hat wenig von dessen durchdringender Frequenz verloren, was diesen tollen Gig, der zahlreiche Hits beinhaltet, umso fesselnder macht. So betont klar singen heute nur noch wenige Musiker aus Rockformationen, die zu den '70er-Helden des Classic Rock zählen. Takte wirbeln, Rhythmen, Beats, Grooves rocken und rollen, Keyboardeffekte und Violine sorgen für Sphärenteppiche, liefern sich zwischenzeitlich schon mal packende Duelle mit der Gitarre. Hinzu kommt das ausdrucksstarke Organ des legendären PAVLOVS DOG-Bandchefs, der kein Gamm seines außergewöhnlichen Charismas verloren hat auch vorzüglich Mundharmonika spielt, es dabei sogar schafft, im Wechsel zu Singen und seine Gitarre zu bedienen. So spielen ausgebuffte Profimusiker. Das ist schon bewundernswert! Selbiges gilt für hingebungsvolle teils von gesunder Portion Humor begleitete Ansagen, wobei jeder einzelne Song seine völlig eigene Geschichte hat, mit denen David Surkamp die Gunst des treu ergebenen Publikums im Theaterstübchen - ganz gleich ob stehend oder sitzend - erobert. Zeitweise wackeln heftig Stühle oder geballte Fäuste gehen in die Luft. Mehr als einmal brandet vor Ende eines Songs kräftiger Beifall auf. Der 73 jährige Bandmentor bleibt selbst nach über 50 Jahren aktiver Mitwirkung im Geschäft eine jederzeit ehrlich-bodenständige Musikerpersönlichkeit, die ihre Passion mit voller Hingabe lebt.
Alle sechs Musiker und -rinnen harmonieren einheitlich im Ganzen als bestens aufeinander abgestimmtes Team, das überträgt sich auf jede noch so kleinste Soundfacette. Zeitweise jagt einem die Intensität dieser Performance Wellenbäder wohligen Schauers über den Rücken... auch der mystisch folkloristische Teil der klassischen Progrock-Songperlen hat weder an Charme noch Esprit eingebüßt.
Passend zur Konzertverlegung folgt der pralle Melancholik-Einstieg mit „Late November“, ein explosiver „Song Dance“, das von flotten Beats vorwärts getriebene Himmel und Hölle weckend von mitsingbarem Refrains flankierte „Natchez Trace“ oder tonnenschwere Emotions-Tornados auslösende Melodic Schwermut-Groover vom Format „Hard Times“, „Theme From Subway Sue“ versprühen immensen Reiz. Am ausgedehnten Fantasy-Epic-Folk-Schlußopus „Of Once and Future Kings“ führt ebenfalls kein Weg vorbei. Genauso intensiv greifend fügt sich das Material des zweiten ebenso hingebungsvoll zelebrierten 'Has Anyone Here Seen Siegfried'-Langdrehers (u. a. „Breaking Ice“, „Suzanne“) in den Gesamtkontext des hochkarätigen Konzertabends der zum Erlebnis besonderer Art wird. Dafür sorgt auch das jeden Song kräftig abfeiernde Kennerpublikum, das der Band treu ergeben ist. Dies erkennen auch PAVLOV'S DOG, der vermehrt lächelnde Bandleader David Surkamp lobt das tolle Publikum in Kassel, dankt für die große Resonanz eines Auftritts, wie ihn das Theaterstübchen so schnell nicht vergessen wird. Zu den edelsten Momenten gehört ebenso der von kribbelnder Spannung begleitete heftig die Luft zum zirkulieren bringende Mysticfolk-Ohrwurm „Valkerie“ vom 1976er Album 'At The Sound Of The Bell' dessen stimmungsvoller Refrain (Bring back the good old days, Bring back the good old days, Bring back the good old Days, Bring back the good old Days!) in Besinnung auf eine nicht durch Schnellebigkeit sondern von kulturellen Werten geprägte Zeit im Publikum fordernd laut mitgesungen wird und später nicht mehr aus dem Kopf will. - Herrlich! Allein die erschreckend blutleere Version ihres größten Hits 'Julia' hinterlässt manches Fragezeichen, aber das ist Klagen auf hohem Niveau.
Nach Konzertende gegen 22:30 besteht für treue PAVLOV'S DOG-Anhängerschaft Gelegenheit, sich Shirts, Tonträger und Poster zu kaufen und von den wie beim Auftritt gut gelaunten Musikern signieren zu lassen. Entsprechendes Gedränge herrscht nach Konzertende am Eingangsbereich. Etwa gegen 23:00 Uhr löst sich die Menschentraube auf. Durch Zeitdruck bleibt ein mögliches Foto mit David Surkamp bedauerlicherweise verwehrt, die ehrlichen, mit dem gesprächig freundlich bodenständigen Musiker sowie den zwei netten Ladys am Stand ausgetauschten Worte wirken kräftig nach. Ein schöner Konzertabend faszinierender Classic Progressive Rockmusik faszinierend zeitlos fesselnder Art in passendem regelrecht dafür prädestinierten Ambiente, zeigte eine Band auf deren weitere Touretappen die treue Fangemeinde nun erst recht gespannt sein darf. Effektiv Phantasievoll-urig mit reichlich viel nostalgischem Erinnerungswert haben PAVLOV'S DOG ihren Ausnahmestatus für den Progressive Rock Sektor in allen Belangen eindrucksvoll unterstrichen. Das war eine Lehrstunde in Sachen klassischer Progressive Rock.
Ein besonderes Danke gebührt Andreas Grabczynski für die schönen Bilder zum Gedenken dieses feinen Abends im Theaterstübchen, das weitaus mehr zu bieten hat, als der Name vermuten lässt, womit der am Eingang platzierte Spruch „Runter vom Sofa, - rein in den Club!“ seiner flapsigen Devise vollauf gerecht wird. Ganz großes Kino mit feiner Songauswahl, vor erlesener jeden Song der Band zelebrierender Publikumskulisse bei (von der kleinen binnen weniger Sekunden behobenen Mikropanne ganz am Anfang abgesehen) erstklassig eingestelltem Licht und Sound in überschaubarer Kleinlocation; - legendär, selten, fesselnd, erinnerungswürdig, - zeitlos fließende Raumklang-Magie ohne Grenzen.
Bericht: Michael Toscher, Fotos: Andre Grabczynski und Michael Toscher