EUROPE - Stuttgart
Konzert vom 04.10.2023
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EUROPE
Fast zwanzig Jahre ist es her, dass ich die Band auf ihrer Reunionstour in der Neckarmetropole gesehen habe. So eine weitere Erfolgsgeschichte hätte ihr niemand zugetraut, es schien eher ein Aufflackern für Liebhaber. Doch EUROPE haben sich als einer der besten Liveaczs im Hard Rock etabliert und wo sie damals noch im Longhorn spielten geht es heute in ehrwürdige Theaterhaus. Sechs Jahre nach ihrem letzten Studiowerk „Walk The Earth“ ist man auf Time Capsule“-Tour, feiert seine eigene Legende und bereitet sich auf das nächste Durchstarten vor. Für den Verfasser ist es auch das erste Konzert seit zehn Jahren, letzter Aufmarsch oder Tor zu kommenden Großtaten.
Als uns Joey Tempest von der Leinwand angrinst, fragt man sich, wo die zehn Jahre geblieben sind, bei ihm jedenfalls nicht, sein Äußeres scheint keinen Tag gealtert. Lässig im Sessel sitzen plaudert er, und später seine Kollegen über die Anfänge ihrer Reise, dabei kommt das berühmte Lächeln zum erstmals an dem Abend zum Vorschein. Ein schöner Zug, erinnert ein wenig an URIAH HEEP im letzten Jahr, wobei es vorm zweiten Part mit Geschichten zur Wiedervereinigung weiter geht. Sympathisch und oft witzig erzählt, sitzt John Levén in einigen Sequenzen im Stockholmer In-Restaurant „Garlics & Shots“, die Herren haben Stil.
Und sie haben auch sonst alles, was eine gute Liveshow ausmacht, mit den ersten Tönen als der Vorhang fiel zog es die Zuschauer in den Bann. Laut und differenziert drückte der Sound aus den Boxen, die Mimik sprach Bände, da standen fünf Typen auf der Bühne, die es absolut wissen wollten, die motiviert und spielfreudig bis in die Haarspitzen waren. Dabei war das was sie als Opener zum Besten gaben lediglich eine Single-B-Seite, Indiz war für eine Qualität sie songschreiberisch zu bieten haben. Mit den folgenden beiden Nummern regelten sie dann alles ab, Legionen anderer Musiker wären froh, wenn sie damit von der Bühne gehen könnten, hier war es gerade mal der Auftakt.
Spätestens da fragte man sich warum die Halle bestuhlt war, dann auf den Sitzen hielt es längst keinen mehr, die ganz großen Refrains wurden von hunderten Kehlen mitgeschmettert. Die Hände wild in der Luft feuerten die Zuschauer ihre ewig jungen Helden an, die den Zuspruch sichtlich genossen. Dabei hätte es niemand bedurft die Mannschaft auf den Brettern anzupeitschen, das übernahm Spaßvogel Ian Haugland nur allzu gerne selbst.
Immer etwas vor der Band spielend gab er den Liedern damit diesen unvergleichlichen Drive mit, der das Material einfach reinlaufen ließ. So öffnete er sogar für schwere bluesige Stücke die Räume um sich in Stadionweite zu erstrecken. Vor seinem Solo kündigte er selbstironisch etwas Besonderes an, zwar sind klassische Stücke unter Drumsoli nichts Neues, aber er blies dem Marsch der Overtüre aus „Willhelm Tell“ auf seinem Kit ordentlich den rockigen Marsch.
Sein Rhythmuspartner Levén ließ es etwas lockerer angehen, dennoch muss er doch unter seiner Lederjacke geschwitzt haben. Die Eminenz des Hard Rockbasses stolzierte ruhig, aber bestimmt, dafür nie überheblich über die Bretter, erklomm immer wieder den Riser zu Haugland, suchte auch die Nähe zu seinem Gitarristen auf der anderen Seite, oder auch zum Frontmann, wenn man den mal zu packen bekam. Sein fiebriges Pumpen veredelt jede Nummer, nicht nur die von EUROPE, auch bei anderen Acts weiß er sich in den Dienst zu stellen. Nur hatte er hier sicher mehr Enthusiasten in der ersten Reihe, die immer gerne den Kontakt zu ihm suchten, wenn er in seiner lässigen Art an der Rampe hantierte.
Hinter ihm füllte Mic Michaeli die Klangräume mit vielen Sounds aus seinen Nord-Synthesizern, denen er eine große Bandbreite entlockte. Ob Piano, erdige Hammond, moderne Synthesizer, warmen Flächen oder symphonischen Anleihen, alles gelang ihm stets perfekt, wobei er im Mix sehr prominent auftauchte. Mit Backgroundgesängen wusste er ebenso zu glänzen wie mit einigen kleinen Solopassagen. Sein Input war seit jeher ein wichtiger Baustein im Kosmos von EUROPE, damit wird der Sound angereichert, und gibt den unglaublichen Harmonien, die sich immer wieder aus den knalligen Arrangements schälen den idealen Konterpart.
Geführt wurden die Kompositionen natürlich von John Norum, der auf der rechten Bühnenseite sein Können demonstrierte. Bei seinen kantigen wie filigranen Riffs ging er gerne in die Hocker, seine Axt gen Zuschauer gerichtet oder er verschmolz komplett mit seiner Flying V oder Strat. Nicht nur von der Wahl seiner Spielgeräte her nähert er sich GARY MOORE immer mehr, schickt sich an seinen vakanten Posten zu übernehmen. In Stuttgart zeigte er einfach diesen weichen, melodischen Ton, der der Hörer umschmeichelte, tief im Blues wurzelt, dabei nie die rockige Kante vermissen ließ.
Da kamen Schmiss, Feeling und Attitüde absolut perfekt auf den Punkt, wie er sich dann mit den Tasten von Michaeli paarte war traumhaft. Und dann seine Soli, wenn er seine Gitarre fest umklammerte und gedankenverloren über sein Griffbrett glitt und die Zuschauer zutiefst berührte. War er zu Beginn noch ein wenig auf seinen Platz fixiert, wobei der oft Anlaufpunkt seiner Mitstreiter war, so ging er später mehr aus sich heraus, nutzte die Größe der Bühne und spielte teilweise im Knien.
Hat man hier schon ein Ensemble zusammen, das sich in den Achtzigern fand und nun seit zwanzig Jahren treffsicher eingespielt hat, toppt der Mann hinterm Mikrofon alle. In welcher Pose Joey Tempest auf die Welt kam ist nicht überliefert, aber der Rockstar wurde ihm in die Wiege gelegt, so vollendet wie er den Typus verkörpert. Alleine die Akrobatik mit dem Mikroständer sucht ihresgleichen, der wird über die Schulter geworfen, umgedreht hochgepusht, weit über den Kopf gereckt, gerne mal mit Adressat Auditorium, mit sich geschleift, sich daran abgestützt oder mit ihm herum gewirbelt.
Und hat er sich dessen mal entledigt, so hat er ein ganzes Arsenal an Posen drauf, an emotionalen Gesten, mit der Gitarre um den Hals bei ein paar Songs packt er noch ein paar coole Kicks aus. Dabei ist das nicht aus dem Knigge für Rocksänger geklaut, das meiste dürfte er miterfunden haben. Die Menge wickelte er problemlos um den Finger, suchte ständig den Kontakt zu den vorderen Reihen, der sich auch körperlich ausdrückte. Und wer könnte sich seinem Charme entziehen, das Lächeln so spitzbübisch und jugendlich, dass es fast nicht zu glauben ist, dass der Mann schon sechzig ist, gerade weil er so leichtfüßig über die Bretter wirbelte und tänzelte.
So war er stets der Mittelpunkt der Show, auch wenn er nicht gerade sang, seine Ausstrahlung füllte alleine die ganze Halle. An Überlebensgröße wurde er lediglich von seinen Liedern überstrahlt, von denen es an dem Abend zwei Dutzend erlesen ausgewählte auf die Ohren gab. Klar dürfte man hier den ein oder anderen noch vermisst haben, dafür kamen viele selten gezockte zum Zug. Wann hörte man schon mal zwei Beiträge aus dem Debüt oder „Prisoners In Paradise“?
Weniger verwunderlich, dass zwei Drittel des Sets aus Titeln der ersten fünf Scheiben bestanden, die sind nun einmal das Tafelsilber des Achtziger Hard Rock. Man nehme nur das Eröffnungstriple des zweiten Sets, alles eher Lieder aus der zweiten Garde und doch besser als Legionen von Nachahmern, nur um danach noch eines der absolute Glanzlichter drauf zu setzen. Einzig das Fehlen eines Auszugs aus dem besten Album in diesem Jahrhundert, „Bag Of Bones“ könnte man ihnen ankreiden.
Doch bei der Performance war kein Platz für Kritik, alles sehr sauber rübergebracht, die Hitmaschine lief gut geölt. Ab und an baute man noch kurze Jams ein oder spielte „No Women, No Cry“ von BOB MARLEY an. In der Mitte des zweiten Teils gesellten sich die Freunde John und Joey in der Mitte mit ihren Klampfen auf Hocker und stimmten das großartige DAVID BOWIE-Cover an. Tempest war auch musikalisch der Mittelpunkt, indem er jeden Ton mitlebte und brillant phrasierte. Ob mit rockigem Timbre die Melodien unbeschwert über gebracht oder mit den Balladen wunderbaren Herzschmerz transportiert, er traf stets das Ziel.
Kein Wunder dass die Stimmung im Saal streckenweise überkochte, gerade bei den Überhits am Ende, eine Zeitreise wie im Tourtitel versprochen. Bei den angesprochenen ruhigen Liedern wurde sogar das gute alte Feuerzeug wieder ausgepackt, wobei der in den Achtzigern gar zweimal aufgenommene Tränentreiber sämtliche Schleusen öffnete. Ein Abend der alle Wünsche erfüllte, der eine Band zeigte, welche die Zeitmaschine wohl als Jungbrunnen benutzte. Als große Vorbilder für so viele junge Musiker, und in dem Genre hat es in Schweden sehr viele, haben sie ihre Sparte mitgeprägt. Nur das Wasser kann ihnen bis heute keiner reichen!
Setlist EUROPE:
On Broken Wings
Seven Doors Hotel
Rock The Night
Start From The Dark
Walk The Earth
Hold Your Head Up
Dreamer
War Of Kings
Vasastan
Girl From Lebanon
Carrie
Stormwind
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Always The Pretenders
Ninja
Prisoners In Paradise
Sign Of The Times
Space Oddity
Last Look At Eden
Open Your Heart
Memories
Ready Or Not
-Drumsolo-
More Than Meets The Eye
Superstitious
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Cherokee
The Final Countdown