FEAR FACTORY - Frankfurt/M.
Konzert vom 25.11.2023
Support: BUTCHER BABIES, IGNEA, GHOSTS OF ATLANTIS
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FEAR FACTORY
BUTCHER BABIES
IGNEA
GHOSTS OF ATLANTIS
Im September gab es das große Beben im Lager der Industrial Metalvorreiter, Burton C. Bell, einziges Mitglied das immer an Bord war ging von eben jenem. Somit existierte die Formation nur noch aus Dino Cazares, der selbst Anfang der Nullerjahre für einige Zeit draußen war. Das von Bell eingesungene „Aggressive Continuum“ wurde in der Form veröffentlicht, während der Gitarrist eine komplett neue Mannschaft rekrutieren musste. Drei Jahre später sehen sich FEAR FACTORY wieder in der Lage breitflächig durch Europa zu touren, auch ohne neues Material im Gepäck. Bei der Station in der Frankfurter Batschkapp war FFM-ROCK vor Ort, um sich ein Bild davon zu machen. Und auch von dem reichhaltigen Vorprogramm mit GHOSTS OF ATLANTIS, IGNEA und den BUTCHER BABIES.
Leider konnte sich der Rezensent kein Bild vom britischen Opener machen, weil sich der ohnehin weite Weg als länger heraus stellte. Gerade die letzten Kilometer sind immer ein Problem, das ich mitten in der Fußballtageszeit geringer eingeschätzt hätte. Zum Glück parkte ich vor Ort und verwarf den Plan die letzten zwei Kilometer zu Fuß zu gehen, die ich dank Ampeloverkill sicher schneller absolviert hätte. Denn nach den ersten drei Songs des Headliners musste das Equipment aus der Halle. Zumindest sah ich eine Baustelle, die den Lückenschluss der A66 zu 661 herstellen soll, dann dürfte die Anbindung der Batschkapp besser sein.
IGNEA
So stieg ich mit den Ukrainern ins Geschehen ein, wobei deren Landesflagge am Mikroständer heutzutage auch bei Bands aus anderen Nationen zu finden ist. Beim Intro standen die Instrumentalisten mit mächtigen Posen auf der Bühne, bevor dann Sängerin Helle Boganova reinrauschte und es richtig los ging. Deren Musik zu beschreiben fällt sehr schwer, den es werden unterschiedliche Stile recht wild in den Raum geworfen, wobei die meist vom aktuellen „Dreams Of Lands Unseen“ stammenden Lieder wie „Daleki Obriyi“, „Borsokun“ oder „Nomad´s Luck“ eine klare Handschrift aufweisen.
Da sprang die Frontfrau munter von gutturalem Gesang zur Klarstimme ebenso mühelos wie sie mal mit Cape, mal ohne performte. Dabei zeigte sie auch unterschiedliche Gestik und Mimik, bei den nach vorne preschenden Passagen legte sie sich weit vorne über die Rampe und schrie den Zuschauern ihre Wut ins Gesicht. Dahingegen war sie bei den getragenen Momenten mit einer Art Ausdruckstanz unterwegs. Sympathiepunkte sammelte die gute Helle darüber hinaus mit ihren guten Deutschkenntnissen, in denen sie auch eindringliche Botschaften gut rüber brachte.
Die Menge wusste sie gut zu dirigieren, womit IGNEA mehr als Höflichkeitsapplaus ernteten. Besonders die Breakdowns sorgten für Stimmung, waren aber nur ein weiteres Puzzleteil im Stilmix der Band. Progressive Strukturen sind vor allem Dmytro Vinnichenko nicht fremd, der sich öfter mal die Finger auf dem Griffbrett verknotet. Und dann kommen immer wieder die straighten Riffs, welche die Matten in Wallung bringen, bei welchen sich die Musiker schön vorne aufreihen, ein typisches Stilmittel im melodischen Death Metal.
Hier reiht sich auch Keyboarder Evgeny Zhytnyuk ein, richtig gelesen der Mann an den Tasten. Jener war die gesamten vierzig Minuten mit einer Roland Keytar unterwegs und setzte damit weitere Akzente. Die gingen anfangs im zwar klaren und druckvollen, jedoch nicht optimal ausbalancierten Klangbild unter, was sich gegen Ende etwas besserte. Somit rotierten drei Musiker auf der Bühne, die ebenfalls viel Publikumskontakt auf den drei kleinen Rampen in den Graben suchten.
Bei den Soli positionierten sich Vinnichenko als auch Zhytnyuk auf dem Podest in der Mitte, wo sie von ihrer Sängerin präsentiert wurden. Das war alles sauber von einer tight agierenden Formation vorgetragen, allerdings war man oft zu sehr mit dem Spielen beschäftigt. So wie die Musik zu wenige Hooks anbot, so war auch die Darbietung streckenweise etwas steril, trotz guter Energie war das Stageacting etwas statisch, wirkte irgendwie einstudiert.
BUTCHER BABIES
Wie man es in genau der Disziplin besser macht zeigten anschließend die ersten US-Amerikaner des Abends. Genauer gesagt verteilten sie eine Lehrstunde. Die sah ich gar nicht kommen, denn als das Introtape lief waren die Fotografen größtenteils noch im Foyer. Im Graben angekommen fühlte man sich von einer wilden Amazone fast überrannt. Dass Heidi Shepherd nicht von der Bühne herunter fiel grenzte an ein Wunder, die Frau schien komplett die Kontrolle verloren zu haben, so irre brannte sie ein Feuerwerk ab.
Dabei hatte sie die volle Kontrolle über ihre Bewegungen, wer bei den Schreien so tief in die Hocke gehen kann und dabei doch die Zuschauer taxieren, der weiß ganz genau was er da auf den Brettern vollführt. Die Energie sprühte nur so aus der Frau heraus und steckte sofort ihre Mitstreiter wie auch die Menge an. Ihre Stimme hatte nicht die ganz extremen Kontraste wie die des Acts zuvor, dafür waren die Wechsel aus Screams und Cleanvocals noch hektischer. Still stehen tat sie nie, rannte aber weniger als das sie umher hüpfte.
Hatte was von den Neunzigern wobei das Outfit mit zerschlissenen Jeans und Tüllröckchen drüber plus Neonturnschuhe auch in den Eighties angesagt gewesen wäre. Gutes Schuhwerk hatte sie auch nötig, wenn sie vom Riser runter sprang, da war doch einiges an Höhe abzufedern. Halten konnten sie auch die Grenzen der Bühne nicht, schon früh im Set stand sie auf der Absperrung feuerte die Meute an, später kletterte sie gar drüber und sang mitten im Circle Pit, den sie selbst dirigierte.
Kaum auszudenken, normalerweise sind die Damen zu zweit, in Abwesenheit von Carla Harvey war es nur ein Butcher Baby an dem Abend, doch das füllte die Bühne mehr als genug aus. Unterstützung bekam sie dabei reichlich von ihren beiden Saitenartisten, die in Sachen Bühnenpower wenig nachstanden. Keine Seltenheit das alle drei gleichzeitig in der Luft waren, da wurde von allem und über alles gesprungen was da rumstand, Drehungen, Kicks, alles check. Natürlich fehlte das starke Posen nicht, Gitarrist Henry Flury schwellte bei seinen Riffs gerne die Brust, während er moderne Klänge aus seiner Axt zauberte. Auf diese hatte er eine achte Saite aufgezogen, damit er den Sound noch tiefer legen konnte, auf welcher er am liebsten rumritt.
Ricky Bonazza hatte auf sein Langholz mit fünf ebenfalls mehr als üblich aufgezogen und untermauerte den Groove von Flury. Und weil es schon so schön groovte waren die Breakdowns nicht weit, zu denen dann wieder wild ins Feld gesprungen wurde. Rhythmisch gab man sich variabel, bei den Klarpassagen schimmerte auch alternative Rockhymnik durch, was die ersten Reihen zum Mitsingen bewegte. Hinter der Schießbude wechselte Chase Brickenden gleichsam hektisch zwischen schwerem Groove, Blasbeats und fast tanzbaren Beats hin und her, was er dem wilden Gebräu stets gewinnbringend untermischte. Mit der selben Dynamik wechselte man an der Bühnenfront zwischen totalem Furor und Wadenübungen hin und her, so dass man als Zuhörer kaum folgen konnte.
Dies war indes egal, ebenso wie die geringe Eingängigkeit des Materials, meine Präferenzen liegen sicher woanders. Als Zuschauer konnte man jedoch nicht umhin sich mitreißen zu lassen und so wurde die Beinmuskulatur für die Hauptattraktion des Abends bestens aufgewärmt. Der Großteil des Sets bestand aus Liedern des zweiten Teils vom aktuellen Doppelalbum „Eye For An Eye…/…`Til The World´s Blind“ wie „King Pin“ oder „Red Thunder“. An älteren Stücken kamen „Monster´s Ball“ oder der Rausschmeißer „Magonlia Blvd.“ Nur einmal hielt die gute Heidi inne, „Last December kündigte sie sehr bewegt an, um danach zu zeigen, dass sie auch im Balladenfach überzeugen kann.
FEAR FACTORY
Da mussten sich die Headliner schon strecken, um ran zu kommen und ganz ehrlich, den juvenilen Elan ihres Supports erreichten sie nicht ganz. Wobei jener eben in dem Bereich eine Ausnahmeformation ist, die Industrial-Helden eher im Sektor Hitdichte. Von Beginn an konnte da aus den Vollen geschöpft werden, kaum ein Titel der keinen Knaller dargestellt hätte, mit Ausnahme der neueren Titel, die sich aber gut einfügten und ebenfalls für reichlich geschwenkte oder gedrehte Matten im Publikum sorgten. Schon gleich das Eröffnungsdoppel vom Drittwerk „Obsolete“ machte klar wird die Herren im Haus waren. Erst pumpte es einem die Hüpfschuhe auf, bevor der erste Mitsingalarm herrschte. Es schien als hätten die Anhänger tatsächlich auf sie gewartet, der Schuppen war ordentlich gefüllt und die Resonanz fiel lautstark aus.
Dino Cazares schritt zwar auch die gesamte Bühne ab, versuchte wirklich jeden Fan einzeln mit den Blicken zu erhaschen, tat das allerdings im eher gemächlichen Tempo. Was schnell bei ihm ging war die Hand, mit der er die Staccato runterholzte und der mitbangende Kopf. Seine Salven fuhren einem sofort in alle Glieder, da gab es kein Entrinnen, wenn sie über die Köpfe der Meute rüber fegten. Das Ganze so ultratight und fast mechanisch, was einfach diese ganz spezielle Stimmung entfachte, die der Band so eigen ist.
Tony Campos war an den dicken Saiten eher tänzelnd unterwegs, und hatte sichtlich Freude an seinem Vortrag und dem Publikum. Die Lässigkeit des langjährigen Tourmitglieds wollte nicht unbedingt zur Musik passen, aber sie erdete alles ein wenig. Wobei bei ihm eher der Bart wehte in Ermangelung von Haaren, dazu der Kopf immer weit unten. Genau da bewegten sich auch seine Töne, die richtig in die Magengrube zogen und das schwere Fundament legten, auf dem sich der neue Schlagwerker Pete Webber austoben konnte.
Jener musste natürlich den Speed in die Sache reinbringen und hinten den Laden zusammen halten. Gnadenlos peitschte er diese maschinelle Rhythmik aus seinem Kit, die Arme rotierten nur so darüber, dabei saß jeder Ton. Dass er die DoubleBass nicht immer konsequent durchtrat, sondern immer wieder Attacken ritt brachte viel Dynamik rein. Das totale Sperrfeuer entzündete er auf der Snare, von welcher er immer kraftvoll ausbrach.
Außer bei den groovigeren Stücken, die aber so richtig die Waden zum Glühen brachten, der ganze Mob in Wallung. Zwischendrin tobte natürlich ein Pit, den Milo Silvestro nicht erst fordern musste, da ging von ganz alleine richtig was. Er verfügte auch nicht über die Strahlkraft eines Burton C. Bell, welcher die Massen besser zu diktieren wusste. Seinen Job erledigte er gut, die einseitig rasierte Frise rückte ihn optisch ebenfalls in die Richtung seines berühmten Vorgängers. Gerade in den fast sakralen Refrains wusste er Akzente zu setzen, konnte dabei auf die Unterstützung seiner Saitenfront bauen. Bei den rauen Vocals mussten die Fans genauso geringe Abstriche hinnehmen, es fehlte einfach nur der letzte Biss, der aus der Selbstsicherheit komplett auszurasten geboren wird.
Ein paar Ansagen übernahm Cazares selbst, ebenso die Bandvorstellung, mittlerweile ist er der Alleinherrscher bei FEAR FACTORY, gebärdet sich aber teamfähiger als früher. Ein wenig spielte man die Alben in Blöcken, nach einem Strauß jüngerer Songs kam wieder die 98er Scheibe zum Zuge, dann die hitlastigsten Dreher. Die Menge ging voll mit, Leiber klatschten gegeneinander und zum einzigen Auszug aus dem Debüt kam Heidi Shepherd auf die Bühne, womit es noch lauter wurde unten. Am Ende kamen natürlich die großen Kracher, zu denen endgültig ausgerastet werden konnte, neben der Achillessehne kollabierten nun die Stimmbänder endgültig. Wenn es überhaupt einen Wermutstropfen gab, dann höchstens das Fehlen von „Self Bias Resistor“.
Setlist FEAR FACTORY:
Shock
Edgecrusher
Recharger
Dieelectric
Disruptor
Powershifter
Freedom Of Fire
Descent
Linchpin
What Will Become?
Slave Labor
Archetype
Martyr
Demanufacture
Zero Signal
Replica
Resurrection