OVERHEAD - Rüsselsheim

05 overhead ruesselsheim 03Konzert vom 10.05.2024

Support: CRYSTAL PALACE

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OVERHEAD
CRYSTAL PALACE

Schon seit mehr als zwanzig Jahren unterwegs und immer noch ein Geheimtipp begann der Stern der Finnen so langsam bei der Night Of The Prog 2019 auf der Loreley aufzugehen. Damals hatten sie mit „Haydenspark“ gerade ihr erstes Album nach längerer Zeit veröffentlicht und sich wieder etwas vom New Art Rock weg zu ihrem ursprünglichen Stil entwickelt. Im letzten Jahr kam ihr Opus Magnum „Telepathic Minds“ als Doppeldecker auf den Markt, der den Namen weiter auf der Landkarte des Prog fixierte. Nun kamen OVERHEAD für ein paar Shows nach Deutschland, wo FFM-ROCK im Rüsselsheimer Prog-Tempel „Das Rind“ vorbei schaute. Begleitet wurden sie von den deutsche Neo Proggern CRYSTAL PALACE, deren langer Weg ebenso wenig beachtet wurde.

CRYSTAL PALACE
Für eine Vorband wurde denen viel Zeit eingeräumt, angesichts deren achtzig Minuten Spielzeit war es eher eine Double Headlinershow. Bislang habe ich mich wenig mit ihnen beschäftigt, auch wenn ich sonst immer sehr empfänglich für Bands aus dem Hause Gentle Art Of Music bin. „Sleepless“ gab einen guten Opener ab, der sofort zeigte wo die Reise hin ging, nämlich über den Ärmelkanal. Was MARILLION, IQ oder PENDRAGON, die an selber Stelle ein paar Tage später spielen sollen einst auf die Landkarte brachten haben die Berliner scheinbar mit der Muttermilch aufgesogen, auch wenn zumindest Frontmann Jens Strutz im ungefähren Alter sein dürfte.

Da waren die Harmonie zwischen Keyboarder Marcel „Mac Black“ Schwarz und Gitarrist Nils Conrad, die den Raum erfüllten und alles ins Schweben brachten. Ihr Handwerk verstanden die beiden und timten ihre Beiträge sehr gut. Vom Spiel her war Schwarz eher unspektakulär, seine Fingerbewegungen waren nur im Ansatz zu erkennen, da habe ich schon andere Tastenhexer gesehen, wo gerade die Pianolinien mehr perlten. Da wäre etwas mehr Ausdruck schon von Nöten gewesen, ein bisschen blieb er zu sehr an den Vorgaben, welche ihre Stilistik mitbringt. Zwar konnte er seinem Nord-Synthesizer einige interessante Töne entlocken, es fehlte jedoch die eigene Note, das ganz große Feingefühl.

Conrad gab da eine ganz andere Hausnummer ab, der wirklich alle Klangfarben drauf hatte. Kein Wunder mit acht Saiten auf seinem kopflosen Modell verfügte er über mehr Variationsmöglichkeiten. Im Leadspiel sehr melodisch und weich ließ er sich gerne mal zu der ein oder anderen Tappingeinlage hinreißen, die leicht klassische Anstriche hatten. Fast stufenlos glitten seine Hände über das wuchtige Griffbrett, er schien die Bünde gar nicht richtig zu greifen, sondern alles im Fluss halten zu wollen. So entlockte der Mann seinem Arbeitsgerät ungewohnte Töne, war aber bei seinen Leadfills zurück im Thema.

Beim letzten epischen Stück „Beautiful Nightmare“ wurde ganz tief in die Trickkiste gegriffen. War der Tremolohaken schon zuvor sein Freund gewesen, so nahm er ihn heraus und traktierte damit die Saiten, bevor er unter dessen Mithilfe die Saiten wunderbar lange zog. Hier konnte endlich auch Mac Black glänzen, der das stoische Pianothema konsequent durchzog und eine hypnotische Atmosphäre kreierte. Sicher ein Highlight neben dem wunderschönen „System Of Events“, das zwar als trauriges Stück angekündigt wurde, jedoch am besten abhob. Das findet sich auf dem gleichnamigen Album wieder, wie schon das andere erwähnte Highlight und dem Opener und sollte sich als Einstieg eignen.

Da war auch Strutz stimmlich in guter Form und wusste die Atmosphäre zu transportieren. Teilweise war jedoch seine Stimme etwas knöchern und ließ den Ausdruck vermissen. Technisch war der Gesangsvortrag zwar sauber, doch zu fesseln vermochte er nicht. Wie sein Gesang war auch sein Bassspiel, das nur solide vor sich hin drückte. Warum er immer ein Plektrum nahm erscheint angesichts der Leistung im angesprochenen Rausschmeißer unverständlich, seine blanken Finger erzeugten so viel mehr Wärme und Tiefe.
Ein wenig fehlt hier auch die Liveroutine, die tourfreudigste Formation sind CRYSTAL PALACE nicht. Umso seltsamer, dass sie unweit von Mainz auftraten, trägt man als Namen doch den Verein, der dem zweitberühmtesten Sohn der Stadt die Meisterschaft zum Abschied an der Anfield Road verbaute. Vielleicht war der gute Jens deswegen etwas unsicher in seinen Ansagen, die schüchtern und etwas verlegen rüber kamen, und die Witze nicht zünden konnte. Hinten hielt Oliver Pahl alles am Schlagzeug zusammen, der mit guter Tom-Arbeit zu überzeugen wusste und ebenso solide auch kaum den engen Rahmen sprengte.
Zum Ausklang jedes Titels durfte er ein wenig aufdrehen, während Conrad die Metaltöne auspackte. Das wurde vielleicht ein wenig zu oft durchexerziert, „Orange Popsicle Sky“ vom aktuellen „Still There“ fiel mit seinen psychedelischen Anleihen als einziges aus dem Rahmen. Dennoch erntete man nach acht teils überlangen Nummern verdienten Applaus, wobei der Zuspruch für einen Freitag eher mager ausfiel, das hatte eine so gute Paarung nicht verdient.

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OVERHEAD
Die Finnen enterten mit Janne Pylkönnen als reinem Bassisten personell zahlreicher die Bretter. Der wirkte jedoch so unscheinbar, und bewegte sich mit seinem tief ins Gesicht gezogenen Peter Nicholls-Gedenk-Hoodie mit seitlichem Zipper kaum. Dafür erdete er das Spiel seiner Mitstreiter mit seinen feinen Linien. Und bei zwei solchen Frontfiguren wie sie die Skandinavier in ihren Reihen haben wäre ohnehin wenig Platz gewesen.
Was Sänger Alex Kestikalo ablieferte war ganz großes Kino, eine Feier der Musikkunst. Sein Gesang war vom ersten Moment an inspiriert, der Opener des neuen Longplayers „War To End All Wars“ erwies sich gleich als Hymne, der von den explosiven Breaks im Chorus lebte. Mal schwang er sich in schwindelerregende Höhen, dann ließ er seiner Kehle sirenenartige Klänge wie ein weiteres Instrument entsteigen.

Ein paar Mal erinnerten seine Melodien an die Landsleute von AMORPHIS, wie im Hiroshima-Song „The Thuesday That Never Came“, einem eher kurzen ruhigen Lied. Noch klagender, ja beschwörend gab er sich bei „… To The Madness“, bei dem der Name Programm war und mit einer hypnotisch flirrenden Stimmung aufwartete. Seine Mikrofonakrobatik war ebenfalls bemerkenswert, jedes Mal zog er dieses aus dem Ständer, dass das Kabel drin verharrte und so über die Bühne hing, als wolle er eine Verbindung halten.
Immer wieder legte er sich hin und wälzte sich fast zeitlupenhaft über den Boden, machte dabei die seltsamsten Verrenkungen, alleine wie er die Flasche öffnete zum Trinken war kunstvoll zelebriert. Egal mit welcher Frisur er auftritt, seine Haare verströmen immer etwas Wildes wenn man alte Photos zu Rate zieht. Mit seinen Army-Pants voll elektronischem Spielzeug zur weiteren Klangerzeugung kam er dem Waldschrat ziemlich nahe.

Den mimte auch ein gewisser Jan Anderson bei JETHRO TULL und so wie die Kultfigur hatte auch Kestikalo die Flöte umhängen, mit der er immer wieder interessante Farben ins Spiel brachte, gerne weltmusikalisch. Als ob das reichhaltige Gebräu nicht genug davon gehabt hätte, denn mit Gitarrist Jakko Kettunen und Tastenmann Mikko Patama waren da noch zwei, die vor Ideen nur so sprühten. Verwunderlich, dass Kettunen nur sechs Saiten auf seine Ibanez spannte, optisch wäre er auch junger Steve Vai durchgegangen, nicht nur wegen des Deko seines Arbeitsgerätes. Mit dessen Kopf drängte er ständig ganz vorne an die Rampe als wolle er die Zuschauer anvisieren.

Auch sonst hatte er in Schlaghosen und mit bunten Tüchern bewehrt alles an Rockstarposen drauf, die man sich irgendwo ausdenken kann. Jedoch nie allzu angeberisch, sondern stets mit einer feinen Lässigkeit, egal ob die Axt hochgerissen wurde, er herum sprang oder in eleganter Rücklage. Über ein noch größeres Arsenal verfügte er im musikalischen Bereich, so kantig die Riffs waren, so abwechslungsreich gestalte er sie. Den rockigen Drive verdanken jene Passagen vor allem seinen Fingerfertigkeiten. Mit denen gelangen auch viele Zwischentöne wie Glisando, die Soli wechselten von flinken Abfahrten zu ruhigen Parts, welche bluesige Nuancen aufzeigten.

Auf Patama war er perfekt abgestimmt, selbst wenn der erst kurz in der Band ist. Wie manch sanfte Tonfolge von seinen Pianoklängen gekontert wurden, war atemberaubend. Der verzichtete auf das heute übliche Nord-Equipment und brachte mit seiner Hammond noch mehr Siebziger-Feeling ein, wobei die Truppe sich allen Epochen der progressiven Rockmusik bediente. Beim Roland-Synthesizer gab er sich richtig Mühe, justierte die Knöpfe der Oszillatoren, bis er das ideale Klangergebnis liefern konnte. Es war aber vor allem die Spielfreude und Variabilität, die das Treiben zu einem echten Hingucker machten und mitrissen.

Hinten rührte Ville Sjöblom gleichsam unablässig die Kessel, nur strikt den Takt halten war nicht sein Ding. Explosiv trieb er die Stücke an, die sich oft einer klaren Struktur verweigerten, je länger sie gingen. „Metaepitome“ schien gar nicht mehr enden zu wollen, noch eine Wendung wurde eingebaut, noch ein Übergang, der dann in eine geniale Passage mündete. Geschickt changierte OVERHEAD zwischen Atmosphäre und rockigen Passagen, ließen auch eine klare Handschrift, speziell bei den vier neuen Liedern erkennen.
Dazu liefen auf der Leinwand immer schöne Installationen, welche den Titel visualisierten. Beim exotischen, rhythmischen „Butterfly´s Cry“ liefen dort irgendwelche Massenritualtänze, deren fiebrige Dynamik punktgenau auf die Musik übertragen wurde, was sich zu einem wahren Rausch steigerte. So ausufernd wie man die Lieder gestaltete, kamen in eineinhalb Stunden regulärer Spielzeit gerade mal acht zusammen, die aber jedes für sich mehr beinhaltete, als manche nicht auf einem ganzen Album.

Die große Überraschung hoben sich die Nordlichter, von denen der Rezensent an dem Wochenende keine zu sehen bekam für die Zugabe auf. Wie fulminant, fast schwarzsamstaglich sie den KING CRIMSON-Klassiker „21st Century Shizoid Man“ zelebrierten war unglaublich. Die Riffs schnitten, die Orgel dröhnte, der gute Alex gab den manischen Frontmann, die Arrangements bliesen einem um die Ohren, und sowohl Keyboards als auch Gitarre durften ausgiebig solieren. Eine großartige Band, die ihre auf Platte fein ausbalancierte Musik mit viel Power rüber brachte. „Das Rind“ kochte phasenweise über, wobei die Stimmung noch euphorischer ausgefallen wäre, wenn das Auditorium mal aus dem Staunen heraus gekommen wäre.

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Fotos von Jutta Bradtke
Weitere Bilder gibt es >hier<

 

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